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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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ständig kleiner Diebereien beschuldigten, argwöhnten sie, daß wir gestohlene Dinge aus ihrem persönlichen Besitz in den Haaren versteckten. Deshalb fand die völlige Kahlheit der Purémpe zweifellos den ungeteilten Beifall Guzmáns und der anderen spanischen Herren von Neugalicien. Es gab in Michihuácan jedoch andere Sitten, die mit Sicherheit nicht die Zustimmung der christlichen Spanier finden konnten. Das liegt daran, daß bereits nur die Erwähnung des Geschlechtsverkehrs Christen beunruhigt und jedes vom üblichen abweichende sexuelle Verhalten sie geradezu entsetzt, weit mehr übrigens als die Sitte, Menschen für ›heidnische Götter‹ zu opfern. Die Purémpe auf dem Markt, von denen ich so viel wie möglich der Pore-Sprache zu erlernen suchte, hatten mir Worte und Ausdrücke beigebracht, die sich auf sexuelle Dinge bezogen. Ich wiederhole, diese Männer waren alt und hatten längst die Fähigkeit zur Paarung, selbst das geringste Verlangen danach verloren. Trotzdem erzählten sie genußvoll von den unterschiedlichen und bemerkenswerten, ja sogar unschicklichen und anstößigen Arten, auf die sie die sexuellen Triebe der Jugendzeit befriedigt hatten, ohne damit gegen ihre Sitten zu verstoßen.
    Auch ich sage ›unschicklich‹ und ›anstößig‹, obwohl ich selbst nicht gerade ein Vorbild an Keuschheit oder Sittsamkeit gewesen bin. Doch die Azteca, die Mexica und die meisten anderen Völker der EINEN WELT waren in Hinblick auf Sexualität schon immer ebenso prüde wie die Christen. Wir hatten zwar keine Gesetze, Vorschriften und Gebote in der Art von ›du sollst nicht‹, doch die Tradition lehrte uns, daß man gewisse Dinge nicht tat.
    Ehebruch, Inzest, wahllose Geschlechtsbeziehungen – außer während bestimmter Fruchtbarkeits-Zeremonien –, die Zeugung unehelicher Kinder, Vergewaltigung, Cuilónyotl zwischen Männern und Patlachuia zwischen Frauen, all das galt als verboten. Im Gegensatz zu den Christen erkannten wir an, daß jeder Mensch von abweichendem oder sogar lasterhaftem Wesen sein und daß jeder normale Mensch sich unpassend benehmen konnte, wenn ihn die Lust übermannte. Trotzdem billigten wir solche Handlungen nicht. Wenn solche Dinge ans Licht kamen, mieden alle anständigen Menschen den Täter oder die Teilnehmer für alle Zeiten, oder er wurde verbannt, möglicherweise streng bestraft, manchmal sogar zum Tod durch die blumenumwundene Schlinge verurteilt. Die alten Männer in der Stadt hatten mich anschaulich und mit wortreichen Reden darauf vorbereitet, daß sich die Sitten in Michihuácan von den unsrigen deutlich unterschieden. Bei den Purémpeche waren alle erdenklichen Arten sexueller Paarungen erlaubt, solange beide oder alle Teilnehmer damit einverstanden waren oder sich zumindest nicht lautstark darüber beklagten. Ich hatte keine derartige Neigung, und wenn sich einige der vielen Frauen, denen ich in Michihuácan begegnete, zuvor mit allem möglichen vergnügten, weil die Männer verschwunden waren, so gaben sie das jetzt mit Freuden auf, als ich erschien. Wohin ich in diesem Land auch kam, überall fand ich eine Überfülle von Frauen und Mädchen. Sie alle boten sich mir an, so daß ich mir die Hübschesten aussuchen konnte. Das tat ich auch. Ich muß gestehen, zunächst fiel es mir nicht leicht, mich an die kahlköpfigen Frauen zu gewöhnen. Manchmal war es sogar schwierig, die jüngeren von Knaben zu unterscheiden, denn beide Geschlechter der Purémpecha kleiden sich beinahe gleich. Doch mit der Zeit bewunderte ich ihre Kahlheit beinahe so sehr, als sei ich selbst ein Purémpecha. Denn ich lernte allmählich zu erkennen, wie der Verzicht auf jegliche Art Schmuck die Schönheit mancher Frauen sogar zu steigern vermochte. Durch das Abschneiden ihrer Haare verringerte sich keineswegs ihre weibliche Glut und Liebesfähigkeit. Ich erlag nur ein einziges Mal einer Fehleinschätzung. Ich mache für diesen Vorfall den Chápari verantwortlich, ein Getränk, das die Purémpecha aus dem Honig der wilden schwarzen Bienen gewinnen. Es ist sehr viel berauschender als spanischer Wein. Ich war für die Nacht in einer Herberge abgestiegen. Unter den Gästen befanden sich ein älterer Fernhändler und ein beinahe ebenso alter Bote. Die Besitzerin war eine alte kahlköpfige Frau. Sie hatte drei ebenfalls kahlköpfige Helferinnen, offenbar ihre Töchter. Im Laufe des Abends trank ich unbesonnen von dem köstlichen Chápari, den man hier ausschenkte. Ich wurde so betrunken, daß mich die

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