Der Sohn des Azteken
die natürlich das beste Acker- und Weideland von Michihuácan besaßen. Da es unter den Purémpecha keine Männer mehr gab und die Spanier glaubten, die Frauen seien nur für Dienste im Haus geeignet, verrichteten Sklaven die Arbeit auf den Gehöften und Viehwirtschaften. Von weitem hatte ich die schwarzen Moros arbeiten sehen. Sie wurden von berittenen Spaniern mit Peitschen beaufsichtigt. Die neuen Herren von Michihuácan pflanzten hauptsächlich Feldfrüchte an, für die es genug Käufer gab – ausländischen Weizen, Süßrohr und eine Grünpflanze, die Alfalfa genannt wurde, sowie Bäume, die fremdländische Früchte trugen, die Manzanas, Naranjas, Limones und Aceitunas genannt wurden. Auf den Feldern mit weniger gutem Boden weideten große Herden von Schafen, Kühen oder Pferden, und es gab Gehege mit Schweinen, Hühnern und Gallipavos. Selbst sumpfiges Land, das früher brachgelegen hatte, nutzten die Weißen für den Anbau einer ausländischen Getreidesorte, die im Wasser gedieh und Arroz hieß. Da die Spanier beinahe auf jedem Stück von Michihuácan etwas anpflanzten, ernteten und Gewinne erzielten, blieben für die überlebenden Purémpecha nur wenige, kleine Felder übrig.
Pakápeti sagte: »Du hast davon gesprochen, daß man in diesem Land gut ißt, Tenamáxtli. Ich will dir sagen, wie wir uns ernähren. Die Felder mit Mais, Tomaten und Pfefferschoten, die wir haben, werden von unseren alten Männern und Frauen bearbeitet. Die Kinder sammeln Nüsse, Beeren und den wilden Honig für Süßigkeiten und Chapari. Wir Frauen beschaffen das Fleisch – Vögel, kleine Tiere, Fische, hin und wieder sogar ein Wildschwein und einen Berglöwen.«
Nach einer Pause fügte sie trocken hinzu: »Aber wir haben keine Donnerstöcke. Wir benutzen die uralten Methoden: Netze für die Vögel, Angelleinen und Jagdwaffen aus Obsidian. Außerdem führen wir das traditionelle Handwerk der Purémpe weiter und stellen Lackarbeiten und glasierte Tonwaren her. Diese Dinge tauschen wir bei den Stämmen an der Küste gegen andere Nahrungsmittel und gegen die Schweine, Hühner, Lämmer oder Ziegen der Spanier. Wir leben ohne Männer, und du kannst mir glauben, wir leben nicht schlecht. Aber wir leben nur, weil wir von den weißen Herren geduldet werden. Deshalb sage ich, man würde uns nicht vermissen, wenn wir in den Krieg ziehen sollten.«
»Immerhin lebst du«, sagte ich. »Wenn du in den Krieg ziehen würdest, ginge es dir mit Sicherheit nicht so gut. Vielleicht würdest du sogar dein Leben verlieren.«
»Du weißt, alle Frauen in der EINEN WELT haben gegen die Spanier gekämpft. Die Frauen der Mexica haben bei den letzten Kämpfen in den Straßen von Tenochtitlan auf den Dächern gestanden und Steine, Wespennester und sogar ihren eigenen Kot auf die Eindringlinge geworfen.«
»Das hat ihnen wenig geholfen. Ich kannte eine Mexicatl-Frau, die noch tapferer war. Sie hat weiße Männer umgebracht, aber auch das hat ihr nichts genützt. Sie verlor schließlich selbst das Leben.«
Zehenspitze ließ sich nicht überzeugen. »Auch wir würden gern unser Leben geben, wenn wir dafür die verhaßten Spanier töten könnten.« Sie beugte sich vor. Ihre Lider mit den ungewöhnlichen Wimpern waren weit geöffnet. Sie sah mich eindringlich mit ihren Augen an, die ebenso dunkel und schön waren wie ihre Wimpern. »Versuch es doch mit uns, Tenamáxtli. Mit einem Aufstand der Frauen rechnen die Spanier bestimmt nicht!«
»Damit möchte ich nichts zu tun haben«, erwiderte ich lachend. »Stell dir das vor! Ich an der Spitze einer Heerschar Frauen! Jeder tote Krieger in Tonaticuan würde sich entweder vor Lachen oder vor Entsetzen schütteln. Die Vorstellung ist lächerlich, meine Liebe. Nein, ich muß mir Männer suchen.«
»Dann geh!« sagte sie und setzte sich verärgert auf. »Geh und such dir deine Männer. Ein paar gibt es noch in Michihuácan.« Sie machte eine unbestimmte Geste in Richtung Norden.
»Es gibt noch Männer?« fragte ich überrascht. »Purémpecha? Krieger? Verstecken sie sich? Liegen sie im Hinterhalt?«
»Nein«, antwortete sie verächtlich. »Es sind keine Krieger und keine Purémpecha, sondern Mexica, die man hierher gebracht hat, um neue Siedlungen am Pátzcuaro-See zu gründen. Aber ich fürchte, du wirst feststellen, daß diese Männer weit weniger tapfer und sehr viel sanftmütiger sind als ich und die Frauen, die ich für dich anwerben könnte.«
»Ich gebe zu, Zehenspitze, du bist alles andere als
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