Der Sohn des Kreuzfahrers
graue Gestalt schritt über den von Bäumen beschatteten Pfad, doch sie war noch zu weit entfernt, als daß man sie deutlich hätte erkennen können. Als sie näher kam, spaltete sich die Gestalt in zwei Teile auf. Die große Gestalt besaß lange Beine und einen Buckel, während es sich bei der kleineren eindeutig um einen Menschen handelte.
»Das ist Ronan«, verkündete Fionn nach einer Weile. »Ich habe dir doch gesagt, daß er uns nicht im Stich lassen wird.« Er stand rasch auf und fuhr fort: »Er wird nicht wissen, wo er uns finden kann. Ich werde ihn holen.«
Murdo beobachtete, wie der Mönch zwischen den Bäumen hindurch den Hügel hinuntereilte. Schließlich erreichte Fionn den älteren Priester, woraufhin beide sich umdrehten und zu den Wartenden hinaufstiegen. Das Tier, das sie mit sich führten, schien mit jedem Schritt unförmiger zu werden; tatsächlich handelte es sich bei diesem sogenannten Kamel um ein weit größeres Tier, als Murdo erwartet hatte - und es stank fürchterlich nach ranzigem Mist.
Das Kamel war eine der abstoßendsten Kreaturen, die Murdo je gesehen hatte. Das Tier war gänzlich von einem matten, räudigen Fell bedeckt, das ihm in Fetzen vom Leibe hing. Die großen, faulen Augen schienen förmlich aus dem kleinen, flachen Kopf hervorzuquellen, der das Ende eines langen, unförmigen Halses bildete, während der große Buckel - den man >Höcker< nannte, wie Mur-do später erfahren sollte - wie ein verwitterter Berg über einem aufgeblähten Bauch thronte. Das Ding schlurfte mit seinen riesigen Füßen anstatt zu gehen, und wenn es sich hinlegte, faltete es sich seltsam zusammen - was es übrigens sofort tat, nachdem Ronan aufhörte, an den Zügeln zu ziehen.
»Wir müssen uns beeilen«, sagte Ronan. Dann holte er ein Bündel von dem jochförmigen Traggestell auf dem Rücken des Kamels und reichte es Murdo. »Ich habe dir etwas zum Anziehen mitgebracht.«
»Wir haben den ganzen Tag lang gewartet«, sagte Murdo und nahm die Kleider entgegen.
»Ich habe es für das Beste gehalten, bis nach Sonnenuntergang zu warten«, erwiderte der Mönch, »wenn ich sicher sein konnte, daß niemand das Tier benötigen würde.«
»Du hast es gestohlen?«
»Ich habe es mir ausgeliehen«, berichtigte ihn Ronan. »Wie heißt es doch in der Heiligen Schrift? >Als sie nun in die Nähe Jerusalems kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen.< Esel oder Kamel: Ich habe also nur dem Befehl unseres Herrn gehorcht.« Der Priester blickte in den Himmel, um abzuschätzen, wie spät es war. »Dennoch wäre es besser für uns, wenn der Besitzer das Tier am Morgen dort finden würde, wo er es zurückgelassen hat.«
»Aber ich will nach Edessa, um meine Brüder zu suchen«, erklärte Murdo.
»Was das betrifft, habe ich eine bessere Idee«, erwiderte Ronan. »Aber jetzt wirst du dich erst einmal anziehen, während meine Brüder und ich uns um das Gepäck kümmern.«
Der Priester eilte wieder davon, und ließ einen verwirrten Mur-do zurück. Rasch entledigte sich Murdo Emlyns Umhang und zog die Kleider an, die Ronan ihm gebracht hatte: eine Hose mit einem breiten Stoffgürtel und ein weites Wams aus feinem, leichtem Stoff, ähnlich den wallenden Mänteln, welche die Menschen in dieser Gegend bevorzugten. Stiefel oder Schuhe hatte der Mönch nicht mitgebracht, doch Murdo hätte sie ohnehin nicht tragen können. Während er sich anzog, waren die anderen eifrig damit beschäftigt, den Schatz zu verladen.
Die Arbeit war bald erledigt, und Ronan lief wieder zu Murdo, der gerade den Gürtel anlegte. »Komm, wir werden dir aufs Kamel helfen.«
Mißtrauisch musterte Murdo die klapprige Kreatur. »Ich kann gehen«, erklärte er.
»Deine Sturheit gereicht dir nicht zum Vorteil«, erwiderte Ronan bestimmt. »Du wirst reiten und keine Widerrede.«
Gemeinsam hoben Emlyn und Fionn den jungen Mann auf den vorderen Teil des Traggestells, der einem Sattel ähnelte. Dort hockte Murdo: Seine Beine hingen rechts und links neben dem Hals des Ungetüms herunter, und hinter ihm hatte man zu beiden Seiten den Schatz befestigt.
Ronan trat vor das Kamel und sagte mit lauter Stimme: »Hat! Hat!« Das seltsame Wort riß das
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