Der Sohn des Kreuzfahrers
Heilige Stadt der Herrschaft des Kaisers zu unterstellen, und das so rasch wie möglich - morgen wäre kaum zu früh dafür.
Dalassenos war gerade erst eingeschlafen, als er durch die Ankunft mehrerer Mönche geweckt wurde, die auf dem Kirchengrund um eine Unterkunft für die Nacht nachsuchten. Das ist seltsam, dachte er, denn die Nacht war schon fast vorüber, und den Stimmen nach handelte es sich um römische Priester, allerdings von einer Art, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte. Er öffnete die Zellentür, blickte hinaus, und da sah er sie: Drei Mönche und ein großer, besorgt wirkender Jüngling wurden über den Innenhof geführt. Der junge Mann zuckte unwillkürlich zusammen, als er Dalassenos' Gesicht in der Tür entdeckte, doch alle vier eilten rasch weiter, und der Drun-garios legte sich wieder hin und versuchte einzuschlafen.
ährend Raimund sich mit dem kaiserlichen Gesandten am Pa-ixü lasttor traf, waren Murdo und die Mönche eifrig damit beschäftigt, den Schatz so zu verstauen, daß die Bündel wie eingewickelte Leichen wirkten. Zunächst banden sie die einzelnen Gegenstände mit den Tüchern und Bändern zusammen, die Fionn besorgt hatte; dann stopften sie die Zwischenräume mit Stroh und Gras aus, bis das Ganze ungefähr die Form eines menschlichen Körpers besaß, und schließlich wickelten sie alles in Leichentücher.
Sie arbeiteten rasch. Auf Fionns Drängen hin zog Murdo widerwillig sechs Goldmünzen aus dem Schatzhaufen. »Du stiehlst es doch nicht, Murdo«, belehrte ihn der Mönch. »Du verwendest nur einige der ersten Früchte, um die Ernte zu sichern.«
Nachdem der letzte Knoten festgezogen war, schleppten sie die Bündel eilig aus dem Zelt, um keinen Verdacht zu erregen. Zu guter Letzt holte Murdo noch das Schwert, den Schild und den Harnisch seines Vaters, bevor sie das Zelt endgültig verließen, damit ein anderer verwundeter Pilger hierhergebracht werden konnte. Schließlich setzten sich Murdo und die beiden Mönche unter einen nahe gelegenen Olivenbaum und warteten auf Ronans Rückkehr.
»Was hält ihn nur auf?« fragte Murdo. Er warf einen besorgten Blick auf die unförmigen Bündel. Insgesamt waren es vier: drei größere, die man für Erwachsene hätte halten können, und ein kleineres von der Größe eines Kindes. Überall im Lager gingen Mönche und Frauen ihrer Arbeit nach und kümmerten sich um die Sterbenden und Verwundeten. Niemand schien die kleine Gruppe zu bemerken, die unter dem Baum wartete; Murdo blieb dennoch wachsam, denn er fürchtete, jeden Augenblick würde man ihr Spiel durchschauen.
Die unheilvolle Sonne wanderte über das Himmelsgewölbe, um schließlich in einem blutroten Dunst unterzugehen, und Ronan erschien noch immer nicht. »Ich vermute, Kamele sind nicht so leicht zu besorgen wie Pferde oder Esel«, meinte Fionn. »Ronan mac Diar-muid wird uns schon nicht im Stich lassen. Hab Vertrauen, Mur-do.«
»Gott wandert stets durch das Chaos, um seine Wunder zu vollbringen«, fügte Emlyn philosophisch hinzu. »Vertraue nicht auf die Taten der Menschen, sondern auf den Allmächtigen, dessen Pläne für die Ewigkeit sind und dessen Werke die Zeiten überdauern.«
Trotz der wiederholten Versuche der beiden Priester, Murdo zu beruhigen, wurde seine Nervosität nicht geringer. Selbst nach Sonnenuntergang fand er keine Ruhe, obwohl er dankbar dafür war, daß die Hitze merklich nachgelassen hatte. Der Mond spendete mehr als genug Licht, um einem Dieb die Arbeit zu ermöglichen, während die Sterne hinter einem Rauchschleier glühten wie die Augen lauernder Wölfe im Licht eines Lagerfeuers.
Murdo rieb sich mit der Hand übers Gesicht, um die Müdigkeit zu vertreiben. Er war hungrig und erschöpft, und ihn schmerzte der ganze Körper. Doch weder der Hunger noch die verbrannte Haut oder die wunden Füße machten ihm etwas aus: Das alles waren nur geringfügige Beschwerden im Vergleich zu dem stechenden, nagenden Schmerz in seinem Herzen. Er vermißte seinen Vater, und er vermißte seine Heimat. Er sehnte sich nach den grünen Inseln von Ork-neyjar, nach dem kühlen Nordwind auf seinem Gesicht, und er sehnte sich nach Ragna, danach, sie endlich wieder in den Armen zu halten. Er wünschte sich, daß dieser unglückselige Tag endlich vorübergehen würde.
Fionn stieß ihn sanft mit dem Ellbogen an. »Da kommt jemand«, flüsterte er.
Murdo setzte sich auf. »Wo?«
»Dort unten.« Fionn deutete auf den Pfad hinunter, der sich über den Talboden wand. Eine
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