Der Sohn des Kreuzfahrers
Grund, sie noch länger aufzuhalten.«
»Soll ich etwa glauben, was ich da höre?« beschwerte sich Emlyn. Er deutete vorwurfsvoll auf den ihnen am nächsten stehenden Krieger. »Soweit wir wissen, sind ihre Seelen in just dieser Nacht in Gefahr, in die Hölle hinabzufahren. Warum sollten wir ein solch unnötiges Risiko eingehen? Ich sage: Laßt uns ihnen die Beichte abnehmen!«
Bei diesen Worten wichen die Kreuzfahrer einen Schritt zurück;
plötzlich hatten sie es sehr eilig, von hier zu verschwinden.
»Wir haben jetzt keine Zeit dafür«, murmelte der Soldat, der für die Gruppe sprach. »Wir befinden uns auf dem Weg zum Lager im Tal. Unser Herr wartet auf uns.«
»Die Kirche ist nicht weit von hier entfernt«, bot Ronan hilfsbereit an. »Der Gottesdienst wird nicht lange dauern, und Ihr könntet Euren Weg alsbald wieder fortsetzen.«
Die Männer wichen einen weiteren Schritt zurück; drei von ihnen, die es nicht abwarten konnten, die aufdringlichen Priester loszuwerden, lösten sich bereits aus der Gruppe.
»Ich habe Euch doch gesagt, wir haben Wichtigeres zu tun«, murrte der Krieger.
»Was kann wichtiger sein als das Seelenheil eines Menschen?« verlangte Emlyn zu wissen.
»Unser Seelenheil geht dich nichts an, Priester«, knurrte der Kreuzfahrer. »Zieht eures Weges.«
Ronan willigte ungnädig ein. »Kommt, meine Brüder, wir werden hier nicht gebraucht.« Er zog am Zügel, woraufhin das Kamel sich schwankend wieder in Bewegung setzte und Murdo beinahe aus dem Sattel warf.
Die Soldaten wichen zur Seite und beobachteten, wie die Priester und das Kamel in der Nacht verschwanden. Emlyn drehte sich um und hielt den Männern eine letzte Predigt. »Erinnert Euch stets daran, meine Freunde, daß keine Sünde so groß ist, als daß Gott sie Euch nicht verzeihen würde. Unser himmlischer Vater heißt jeden willkommen, der wahre Reue zeigt.«
»Jetzt geht endlich!« schnappte der Soldat gereizt. Er bedeutete seinen Gefährten, sich ebenfalls wieder in Bewegung zu setzen und fügte murmelnd hinzu: »Verflucht seien alle Priester!«
Die Mönche begannen erneut zu singen und setzten ihren Weg fort. Sie waren erst wenige Schritte gegangen, als Murdo es wagte, einen Blick über die Schulter zurückzuwerfen - die Soldaten rannten so schnell sie konnten die Straße hinunter. »Sie verschwinden«, sagte er und bemerkte im selben Augenblick, daß er den Atem angehalten hatte.
»Natürlich«, erwiderte Ronan. »Schafe dieser Art sind nur selten begierig darauf, geschoren zu werden.«
Als sie die Kirche der Heiligen Jungfrau erreichten, entdeckten sie zu ihrem Entsetzen, daß das gesamte Kirchengelände von Körpern übersät war. Überall um die Kirche herum lagen Menschen in Gruppen beisammen. Einige wenige waren in Mäntel gehüllt, aber die meisten lagen dort auf der nackten Erde, wo sie Platz gefunden hatten. Zunächst glaubte Murdo, daß das Gemetzel außerhalb der Stadtmauern seine Fortsetzung gefunden hatte, doch dann sah er, daß diese hier mehr Glück gehabt hatten als ihre Mitbewohner: Sie waren nicht tot, sie schliefen nur.
Murdo ließ seinen Blick über die Menschenmasse schweifen. Mohammedaner und Juden lagen hier Seite an Seite und hier und dort sogar ein vereinzelter Christ. Sie alle hatten hier Schutz vor dem Sturm des Todes gesucht, der ihre Stadt heimgesucht hatte - hier, an diesem Ort, der ihnen an jenem verhaßten Tag als einziger sicherer Hafen erschienen sein mußte.
Murdo sah sogar ganze Familien, die inmitten der wenigen Habseligkeiten ruhten, die sie vor der Zerstörungswut der Pilger hatten retten können. Angesichts ihres Verlustes empfand er eine unheimliche Leere in seinem Herzen, und er erkannte, wie wenig ihn von diesen Menschen trennte. Alle Menschen fliehen vor dem Tod, dachte er trübsinnig. Einigen gelingt die Flucht, anderen nicht; doch am Ende trifft es jeden.
Ein schmaler Pfad wand sich durch die Masse der Flüchtlinge zum Klostertor. Vorsichtig führten die Mönche das Kamel zwischen den Schlafenden hindurch, und schließlich erreichten sie unmittelbar hinter der Kuppelkirche den Klostereingang. Das hölzerne Tor war verschlossen und verriegelt, doch an einem der Torpfosten hing eine Glocke.
Emlyn läutete. Einige der Schlafenden wurden von dem Geräusch geweckt. Knarrend öffnete sich eine kleinere Tür, und ein rundes, dunkles Gesicht erschien in der Öffnung. »Wer stört den Frieden
dieses Ortes?«
»Verzeiht uns, Bruder«, antwortete Ronan. »Wir würden Euch nicht
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