Der Sohn des Kreuzfahrers
Edelleute und ihr Gefolge nahmen ihre Plätze am Kopf des Tisches ein. Als nächstes erschienen Gottfried und sein Bruder Balduin und nahmen zur Rechten Raimunds Platz, wodurch Bohemund und seinen Männern nichts anderes übrigblieb, als sich links neben dem Grafen von Toulouse niederzulassen. Robert, Herzog von der Normandie, erschien als letzter und gesellte sich zur Gruppe des Bischofs von Bayeux und seinen Kaplänen und Beratern am unteren Ende des Tisches. Daß er dadurch Raimund unmittelbar gegenübersaß, machte ihm nichts aus, denn seine Männer bereiteten schon den Aufbruch vor, und nächste Woche um diese Zeit würde er sich bereits auf der Heimreise befinden, egal was auch immer auf dieser Versammlung entschieden werden mochte.
»Gott segne Euch alle und erweise Euch seine Gnade«, begann Raimund. Er faltete die langen Hände und ließ seinen Blick über die Versammelten schweifen. »Dank der Gnade unseres Herrn treffen wir uns am heutigen Tag am Grab unseres Erlösers, um darüber zu entscheiden, wer von uns den Thron von Jerusalem besteigen soll. Aus diesem Grund habe ich den Abt gebeten, ein Gebet als Dank für unseren Sieg zu sprechen und den Herrn, unseren Gott, zu bitten, er möge uns mit seiner Weisheit bei den vor uns liegenden Beratungen zur Seite stehen.« Er winkte seinem Kaplan aufzustehen und sagte: »Mein Herr Abt, wir warten auf Euch.«
Dann schob Graf Raimund den Stuhl zurück und kniete auf dem steinernen Fußboden nieder. Als erster folgte Gottfried seinem Beispiel - aus echter Frömmigkeit, denn so pflegte er stets zu beten -, und da die anderen nicht für weniger fromm gehalten werden wollten, schoben alle ihre Stühle und Bänke zurück und knieten nie-der, während der Abt sich dem Altar zuwandte, die Arme ausbreitete und zu beten begann.
Gnädigerweise ließ es der Abt bei einem guten halben Dutzend sorgfältig ausgewählter Gebete bewenden; dann sprach er den Segen und gestattete der Versammlung, wieder Platz zu nehmen. Anschließend eröffnete Raimund die Versammlung mit einer unverblümten, aber wahrheitsgemäßen Lagebeschreibung.
»Meine Herren«, sagte er, »der Tod von Bischof Adhemar hat eine ganz besondere Frage aufgeworfen: Wer soll in der Heiligen Stadt regieren? Adhemar war nicht nur unser Freund, er war auch der Legat des Papstes, und als solcher der wahrscheinlichste Kandidat für den Thron von Jerusalem. Wir mögen unseres Freundes und seiner weisen Führung beraubt sein, aber unsere Sache wird von jenen Männern weiterverfolgt, die heute um diesen Tisch versammelt sind.«
Abermals ließ er seinen Blick über die Anwesenden schweifen, bevor er fortfuhr: »Der Thron von Jerusalem muß besetzt werden, und nun ist es an uns zu entscheiden, wer ihn besteigen soll. Die Herrschaft über das Heilige Land darf nicht leichtfertig vergeben werden«, warnte er mit ernster Stimme, »denn der Mann, der in der Stadt unseres Herrn Jesus Christus herrschen will, muß untadelig, aufrecht und in der Lage sein, die heiligen Stätten vor den Feinden unseres Glaubens zu verteidigen.«
Zufrieden nickte der Graf sich selbst zu. Er hatte das Problem auf den Tisch gebracht, und nun war es an den anderen, ihre Meinung darüber kundzutun. Er setzte sich wieder und blickte zu Robert von Flandern, der sich mannhaft anschickte, als erster seine Pflicht zu erfüllen. »Meine Herren, verehrte Gefährten«, sagte er und erhob sich von seinem Platz am Kopf des Tisches, »bitte gestattet mir zu sprechen. Ich werde Eure Aufmerksamkeit nur kurz in Anspruch nehmen.«
»Sprecht! Sprecht!« antworteten die Fürsten. »Sprecht, Mann! Sagt, was Ihr zu sagen habt!«
»Vielen Dank.« Der Graf verneigte sich als Zeichen, daß er dem
Willen der Versammlung nachkommen wollte. »Wie Ihr alle wißt, habe ich persönlich keinerlei Interesse, die Heilige Stadt zu regieren. In eben diesem Augenblick plane ich bereits meine schnellstmögliche Rückkehr in die Heimat.«
»Ja, ja«, murmelten die Edlen. »Macht voran, Mann.«
»Deshalb«, fuhr der Graf fort, ohne eine Reaktion auf die Ungeduld der anderen zu zeigen, »bin ich ausschließlich daran interessiert, daß diese Stadt - diese Stadt, deren Freiheit wir alle mit einem hohen Preis bezahlt haben, mit einem Preis, den wir.«
»Voran, voran«, murrten die Stimmen.
».mit einem Preis, den wir alle mit selbstloser - nein, den wir alle mit großem Opfermut getragen haben. Tag für Tag haben wir ihn bezahlt und zwar nicht nur mit den weltlichen Gütern, mit
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