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Der Sohn des Kreuzfahrers

Titel: Der Sohn des Kreuzfahrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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seiner Haube pflegte der Kaiser seit langem auszudrücken, daß er den Palast ohne den üblichen Aufwand an Leibgardisten und Beratern zu verlassen wünschte. Das war etwas, was er häufig tat, besonders wenn er die wahre Stimmung des Volkes kennenlernen wollte. Alexios verkleidete sich nicht. Er hatte schon früh bemerkt, daß er sich ohne den ganzen Pomp, der ihn normalerweise umgab, vollkommen unerkannt auf den Straßen bewegen konnte. Mit seiner kräftigen Statur und dem unauffälligen Äußeren widmete ihm niemand sonderlich Aufmerksamkeit; wenn er in einfache Kleider gehüllt war, betrachtete ihn jeder als gewöhnlichen Bürger.
    Nachdem er sein Staatsgewand ab- und den einfachen Umhang und die Haube eines Stallknechts angelegt hatte, verließ der Auserwählte des Himmels und Stellvertreter Gottes auf Erden eilig den Palast durch einen der verborgenen Ausgänge. Er schob den Riegel der niedrigen, schmalen Tür beiseite, duckte sich hindurch, eilte zwischen zwei hohen Mauern entlang und erreichte schließlich eine kleine, gewundene Straße voller verlassener Marktstände. Nachdem er auf die Straße hinausgetreten war, schaute er sich um, um sich zu vergewissern, daß ihn niemand bemerkt hatte, doch er sah nur zwei ausgemergelte Hunde, die in einem Müllhaufen wühlten.
    Alexios zog die Haube tiefer ins Gesicht, ging raschen Schrittes die Straße entlang, bog um die nächste Ecke und verschwand auf dem dahinterliegenden Marktplatz, auf dem es von Menschen nur so wimmelte. Eine Zeitlang schlenderte er über den Markt und genoß die Gerüche und Geräusche. Einmal blieb er stehen, um einen Beutel Datteln von einem älteren Kaufmann zu erstehen; dann lenkte er seine Schritte zur Mauer des Theodosius.
    Wie selbstverständlich bewegte sich Alexios inmitten seiner Untertanen, aß Datteln und überlegte, welche Sühne er von den Kreuzfahrern für die Zerstörung von Selymbria verlangen sollte. Diese arroganten Fürsten mußten zur Vernunft gebracht werden, und er würde dafür sorgen, daß der Gerechtigkeit Genüge getan würde, bevor sie wieder nach Hause zurückkehrten. Zunächst jedoch mußte er diese armseligen Potentaten einschätzen können, die es wagten, im Namen Gottes so ungehörig durch sein Reich zu reiten.
    Als er die Mauer erreichte, wandte sich Alexios nach links und ging die breite Straße hinunter, die an den gesamten westlichen Verteidigungsanlagen vorbeilief. Zwischen Straße und Mauer hatten die Armen ihre Bretterhütten errichtet, einfache Verschläge, die gerade einmal dazu ausreichten, den Regen abzuhalten. Wie so viele in der Hauptstadt, so sah auch Alexios in diesem Umstand ein Symbol für den Zustand des Reiches: Die massiven Mauern standen für die starke Herrschaft des Gesetzes und den einen wahren Glauben der zivilisierten Menschheit, und die elenden Hütten waren das Symbol für das Leben jener Bürger, deren Überleben auf bemitleidenswerte Weise von der Stärke des Reiches abhing.
    Dann und wann humpelte eine Elendsgestalt aus einer der Hütten, um zu betteln, und Alexios hatte stets eine Münze und ein Wort des Trostes für jene übrig, die danach fragten. Als er schließlich keine Münzen mehr hatte, gab er den Armen seine Datteln.
    Nach einer Weile erreichte er den großen Platz vor dem Goldenen Tor, dem letzten der alten Tore. Spätere Kaiser hatten vor der Mauer des Theodosius neue Verteidigungsanlagen errichten lassen, doch in diesem Teil Konstantinopels erhoben sich die alten über die neuen Mauern und kündeten von der ruhmreichen Vergangenheit der Stadt. Nachdem er das Tor durchquert hatte, fand sich Alexios im Viertel der Schmiede und Kunsthandwerker wieder, die ihrer Arbeit in einfachen Holzständen nachgingen, hinter denen sie zumeist mit ihren Familien in ein paar kleinen Zimmern wohnten. Den Geräuschen nach zu urteilen, arbeitete jeder einzelne Handwerker eifrig hinter einer Wand aus dem Rauch der Schmiedefeuer. Das Schlagen von Hämmern auf Metall, Holz und Stein und das Rufen der Männer, die einander um Werkzeuge oder Material baten, schwoll immer mehr zu einer Kakophonie an, nicht unähnlich jenem Getöse, das bei einer Schlacht herrschte.
    Alexios mochte den Lärm und den Tumult; er schätzte Männer, die ihren Lebensunterhalt mit ihrer eigenen Hände Arbeit verdienen konnten. Häufig blieb er stehen, um das ein oder andere Produkt zu bewundern, doch niemals ließ er sich auf ein Gespräch ein, denn das hätte unweigerlich ein Feilschen über den Preis der Ware zur

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