Der Sohn des Kreuzfahrers
hätte man mich des Lebens selbst beraubt - oder zumindest des einzigen Lebens, das nach diesem Abend den Namen noch wert war. Um alles noch schlimmer zu machen, fiel mir plötzlich ein, daß ich sie hatte ziehen lassen, ohne vorher noch ein weiteres Treffen zu vereinbaren oder mir auch nur ihre Adresse zu sichern.
Angus, der auf einer Woge des Glücks und der Liebe schwamm, warf einen kurzen Blick auf mein Gesicht und sagte: »Schau nicht so griesgrämig drein, mein Freund. Du wirst sie schon wiedersehen.«
»Wann?« fragte ich. Meine Stimme klang wie ein armseliges Blöken.
»Morgen, würde ich sagen. Wir vier werden zum Sonntagspicknick nach Queen's Ferry gehen. Es ist schon alles arrangiert. Hast du das etwa vergessen?«
»Wir alle vier? Du meinst. Ich dachte, nur du und Lizzy...«
»Libby.«
»Wir alle vier? Wirklich? Ich dachte. Aber das ist ja phantastisch. Das ist großartig!«
»Beruhige dich.« Er legte mir die Hand auf den Arm. »Komm jetzt.« Angus machte sich auf den Weg die Straße hinunter. »Laß uns sehen, ob wir noch irgendwo eine von diesen verdammten Droschken bekommen können.«
So kam es, daß sich zwei der bedeutendsten Ereignisse in meinem Leben an ein und demselben Abend ereigneten. Zwei Treffen, die kurz hintereinander stattgefunden hatten - mit Pemberton und mit Miss Caitlin Charmody - und die den gesamten Verlauf meines Lebens verändern sollten, das erste nicht weniger als das zweite.
VI uf Befehl von Alexios, Oberstem Herrn des Heiligen Römischen WReiches, Auserwähltem des Himmels, Nachfolger der Apostel, wird angeordnet, daß Ihr die Stadt nicht mit Euren Armeen betreten dürft; doch es wird Euch gestattet, hier Euer Lager aufzuschlagen, und hier werdet Ihr warten, bis der Basileus Euch empfängt.« Ni-ketas hielt kurz inne und blickte von dem Pergament auf, das er in Händen hielt. »Habt Ihr verstanden, was Euch vorgelesen worden ist?«
Gottfried, der Herzog von Bouillon, neigte den Kopf; doch sein Bruder Balduin erwiderte kühn: »Wie lange sollen wir warten?«
»Ihr werdet warten«, erklärte der Kommandant der Exkubiten geduldig, »bis der Basileus Euch zu sich ruft.«
»Hörst du das, Bruder?« wandte sich Balduin entrüstet an Gottfried. »Wir sollen hier draußen vor den Mauern warten wie ein Haufen Leprakranker!«
»Wartet, wie immer Ihr wollt«, erwiderte Niketas in gelassenem Tonfall, »aber warten werdet Ihr, und zwar bis der Basileus Eure Gesellschaft wünscht.«
»Das ist unerträglich!« schnaufte Balduin.
»So ist es befohlen worden«, schloß der Offizier. Er reichte das Dokument dem älteren der beiden Brüder, drehte sich um und stieg auf sein Pferd. Ausdruckslos beobachteten ihn dabei die Waräger des Kaisers; sie waren gleichermaßen darauf vorbereitet zu kämpfen wie sich zurückzuziehen.
»Nach allem, was wir auf dieser Reise erdulden mußten«, schäumte Balduin, »werden wir in dieses Lager gepfercht wie ein armseliger Haufen Bettler. Das ist eine Beleidigung!«
»Vielleicht hätten die christlichen Einwohner von Selymbria eine solche Beleidigung vorgezogen«, entgegnete Niketas in scharfem Tonfall.
»Das war ein Fehler«, gestand Gottfried. »Ein Fehler, den wir zutiefst bereuen.«
»Ich bin sicher, daß Selymbria sich freuen wird, das zu hören«, erklärte Niketas. »Ohne Zweifel werden die Überlebenden zu Euren Ehren ein Festmahl veranstalten. Ich wünschte nur, Eure Reue würde sich auch - sagen wir - >materiell< ausdrücken; die Waisen und Witwen könnten Mühe haben, genug Nahrung zum Feiern zu finden, wenn sie von Eurer Reue erfahren.«
»Komm sofort von dem Pferd herunter, du unverschämtes Arschloch!« brüllte Balduin. »Wir befehligen eine Armee von vierzigtausend Mann! Wir lassen uns nicht.«
»Oh, wir haben gesehen, wozu Eure ruhmreiche Armee fähig ist«, unterbrach ihn Niketas kalt, »als Ihr die Unschuldigen und Wehrlosen angegriffen habt. Falls Euch die Begrüßung des Kaisers zu grob erscheint, dann schlage ich vor, Ihr denkt einmal darüber nach, ob die Ermordung seiner Untertanen geeignet war, seine Freude ob Eures Erscheinens zu erwecken.«
Balduin stieß einen erstickten Schrei aus und sprang vor. Die Waräger senkten die Lanzen und bereiteten sich auf einen Angriff vor.
»Bitte, haltet Frieden!« meldete sich Gottfried zu Wort und hielt seinen Bruder zurück. An den Kommandanten der Palastwache gewandt sagte er: »Wir werden dem Befehl gehorchen. Bitte, überbringt Eurem Kaiser dieses Versprechen zusammen mit
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