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Der Sohn des Sehers 01 - Nomade

Titel: Der Sohn des Sehers 01 - Nomade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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ist?« Dann starrte sie nachdenklich zu Boden und murmelte: »Zufall? Oder Plan? Aber dann wäre es ein seltsames Vorhaben. Sie weiß nicht, wie stark der Heolin …« Und dann verstummte sie.
    »Aber - der Junge hatte ihn nicht, ich meine, der, der im Sand versank, er hatte …«, meinte Awin.
    »Hast du ihn durchsucht?« Das Gesicht der Kariwa war auf einmal ganz nah. Ihre fast weißen Augen schienen ihn zu durchbohren.
    Awin nickte verdutzt.
    »Und der Alte, den ihr Seher nennt, der auch?«
    Wieder wollte er nicken, aber dann hielt er inne. Nein, Curru hatte den Leichnam nicht durchsucht. Aber war das wichtig?
    Senis hob den Kopf. »Der Löwe ist noch deine geringste Sorge, Seher. Hilf Merege, wenn du kannst. Auf euch allein gestellt, seid ihr beide verloren. Und jetzt geh. Sie kommen, und hier sollten sie dich nicht sehen.«

    Dann gab sie ihm einen leichten Stoß, und Awin stürzte in ein finsteres Loch. Er fiel und fiel und fiel und schlug die Augen auf. Er blinzelte. Es war dunkel. Sein Herz schlug ruhig. Der Donner war ausgeblieben. Aber wo war er? Allmählich wurde es ihm wieder bewusst - die Kammer, die langen Gänge, die Skelette in den Wänden, die seltsamen Menschen. Ein Geräusch ließ ihn erstarren. Es war ein heiseres Grollen aus tiefer Kehle, und es war sehr nah. Awin schluckte. War das möglich? Konnte es sein, dass die Löwen nun auch in diesen Gängen herumstreiften? Das Grollen kam noch näher. Awin sah den rechteckigen Lichtfleck auf der gegenüberliegenden Seite der Kammer. Das war der Durchlass. Nur ein Rest von Licht erhellte den steinernen Gang. Gebannt starrte er dorthin. Er roch die Raubkatze, bevor er sie sah. Wieder ließ sie ihren Atem rollend durch die Kehle laufen. Dann erschien sie im Eingang, ein mächtiger Schatten vor undeutlichem Licht. Awin suchte zitternd nach seinem Sichelschwert. Er hatte es zur Seite gelegt, als er den Kreis gezogen hatte. Er tastete um sich, aber er konnte es nicht finden. Der Löwe verharrte im Eingang zur Kammer. Awin konnte die gelben Augen der Raubkatze sehen. Dann brüllte der Löwe, und Awin glaubte, davon taub zu werden. Endlich fand er sein Schwert. Die Raubkatze wich einen Schritt zurück, noch einen. Es wurde heller in der Kammer. Noch einmal brüllte der Löwe. Plötzlich wurde er von einer unsichtbaren Gewalt gepackt, hochgehoben und zu Boden geschmettert. Awin spürte die Erschütterung, und er glaubte, die Knochen des Tieres brechen zu hören. Das heisere Grollen erstarb. Dann, wie aus dem Nichts, füllte ein riesenhafter Schatten den Gang vor der Pforte. Es war der Hüne. Er blickte auf den leblosen Tierkörper, trat ihn, schüttelte missmutig den Kopf und stürmte davon.
    »Er weiß nicht, ob das richtig war«, sagte eine hoch mütige Stimme, »aber er wird nicht sehr lange darüber nachdenken.«
Mitten in der Kammer stand die schwarzgelockte Frau. Sie blickte auf Awin herab. Aus dem toten Gang fiel Licht in die Kammer. Also hatte sie ihn wohl geöffnet. Awin konnte ihr Gesicht nicht erkennen. »Wer …?«, begann er.
    »Er wird schnell wütend«, sagte die Hochmütige. »Geh ihm aus dem Weg.«
    Awin nickte. »Aber wer …?«
    »Ihr habt den Schmerz mitgebracht«, sagte die Frau, und es klang böse. »Sie liebt die Löwen, denn sie erinnern Sie an die alte Zeit. Sie ist gereizt. Spürst du das nicht?«
    »Wer?«, fragte Awin vorsichtig.
    Die Frau lachte schallend, aber es klang viel Bitterkeit in diesem Lachen mit. »Wie dumm ihr seid!«, rief sie. »Und wie unvorsichtig! Nun kennt Sie keine Ruhe mehr. Sie hat so vieles vergessen, nur den Schmerz nicht. Und ihr habt Sie geweckt.«
    »Das war nicht unsere Absicht«, versuchte Awin sich zu rechtfertigen. Warum hatte sie gelacht?
    »Absicht? Blinde Geschöpfe seid ihr. Kriecht über den Sand wie Schaben. Nein, wie Skorpione. Kurzlebig, dumm, leichtsinnig, aber mit einem giftigen Stachel. Nichts, was ihr tut, ergibt einen Sinn.« Sie trat in den Gang hinaus, blickte Awin streng an und sagte: »Folge mir.«
    Awin rappelte sich auf, schritt vorsichtig über den Leib des toten Löwen, und dann rannte er hinter ihr her. Sie war die Erste unter diesen seltsamen Menschen, die mit ihm redete. Und Awin hatte das Gefühl, dass sie ihm helfen wollte. Aber er hatte nicht allzu viel von dem verstanden, was sie gesagt hatte.
    Die Frau schritt - nein, schwebte - barfuß durch den Gang. Sie schlenderte gemächlich, so sah es zumindest aus, aber sie war viel schneller als Awin, der rannte, aber nicht aufholen

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