Der Sohn des Sehers 01 - Nomade
Händen der Kariwa!« Er packte Awin hart am Arm: »Nimm dich vor ihr in Acht! Aus ihrer Hand kommt der Tod!«
Awin zuckte erschrocken zurück. Die Augen des Alten waren weit aufgerissen. Das war keine Verstellung und kein Versuch, ihn zu beeinflussen oder zu täuschen. Curru glaubte, was er da sagte.
»Aber … aber sagtest du nicht, dass das Mädchen im Traum nur für ein Fest stünde, Meister Curru?«, erhob Awin zaghaft Einspruch.
Curru blitzte ihn finster an. »Wäre es eines der unseren gewesen, dann ja, doch es ist die Kariwa. Was wissen wir denn über sie? Nichts! Warum reitet sie mit uns? Das verrät sie nicht. Ich wusste von Anfang an, dass ihre Gegenwart nichts Gutes verheißt, und du selbst hast es jetzt gesehen - roter Mohn! Schlimmer kann es nicht kommen. Deges Falbe hat seinen Reiter getötet,
als sie ein Pferd brauchte, Marwis Wunde wurde schlimmer, als sie in seine Nähe kam. Wie viele Beweise brauchst du noch?«
»Du hast Recht, Meister Curru«, sagte eine helle Stimme hinter Awin. Er fuhr herum. Eri hatte sich unbemerkt genähert. Wie lange hatte der Knabe zugehört? Und warum hatte Curru nichts gesagt?
»Natürlich habe ich Recht, mein Junge, doch glaubst du, ich brauche einen Knaben, der mir das sagt?«
Eri lief rot an, als Curru ihn einen Knaben nannte. »Wenn du willst, tötet der Knabe sie für dich«, stieß er wütend hervor.
»Langsam, junger Freund, langsam. Ich glaube, wir sollten diese Angelegenheit doch lieber erst mit deinem Vater besprechen«, entgegnete Curru mit einem herablassenden Lächeln. »Außerdem bezweifle ich stark, dass es dir gelänge, sie auch nur zu verletzen. Sie hat Zauberkräfte, hast du das vergessen, Eri, Aryaks Sohn?«
»Ich fürchte sie nicht!«, zischte der Knabe.
Awin hatte dem Wortwechsel ungläubig zugehört. Jetzt rief er: »Was redet ihr da? Sie reitet mit dem Sger, und wir töten niemanden, der mit uns reitet! Habt ihr denn alle Sitten und Bräuche der Hakul vergessen?«
Curru erhob sich zur vollen Größe und sah finster auf Awin herab. »Rede du mir nicht von heiligen Gesetzen, Awin. Denn heilig ist auch die Achtung, mit der ein Schüler seinem Lehrer begegnen sollte. Ich werde mit Aryak reden, denn ich glaube nicht, dass unsere Sitten auch Schlangen schützen, die sich in unseren Sger geschlichen haben.« Damit drehte er sich um und ging davon.
Eri folgte ihm nach kurzem Zögern. Awin starrte den beiden betroffen hinterher. Der Yaman würde nicht zulassen, dass sie Merege etwas taten, oder? Er folgte den beiden, denn bei dieser Unterredung musste er dabei sein. Doch Curru erklärte
dem Yaman, er habe eine Angelegenheit zu besprechen, die nur ihn und seine Söhne etwas anginge. Aryak runzelte unwillig die Stirn, doch der Seher drängte ihn, bis er nachgab und seine Söhne zu sich rief. Sie entfernten sich ein Stück vom Lager, und Awin blieb nichts anderes übrig, als sie aus der Entfernung zu beobachten.
»Was gibt es da zu beobachten, junger Seher?«, fragte Merege, die herangeschlendert war. Sie hielt immer noch die Mohnblumen in der Hand.
»Nichts Gutes, fürchte ich«, murmelte Awin. Er sah, wie Curru auf den Yaman einredete. Ebu und Eri nickten immer wieder bekräftigend, während Ech, der zweite Sohn des Yamans, mit verschränkten Armen zuhörte. Ech schien nicht zu überzeugen, was der Seher vorbrachte, und auch Yaman Aryak schüttelte immer wieder ablehnend den Kopf.
»Sie sind uneins«, stellte Merege nüchtern fest.
»Das sind sie, und ich glaube, dieses Mal bin ich froh darüber«, meinte Awin halblaut.
»Reden sie über dich - oder über mich?«, fragte das Mädchen schlicht.
Ihre Unbefangenheit verblüffte Awin. Sollte er sie warnen? Durfte er das? Konnte er sich gegen seine Sgerbrüder und vielleicht sogar den Yaman stellen? Noch schien Aryak den Einflüsterungen Currus zu widerstehen. Aber würde das so bleiben?
»Du antwortest nicht, also geht es um mich«, stellte das Mädchen nüchtern fest.
Awin sah in ihre hellen Augen. Das sichelförmige Zeichen an ihrem linken Auge irritierte ihn immer wieder aufs Neue.
»Es ist das Gestirn meiner Geburt«, erklärte Merege ruhig.
»Wie?«, fragte er verwirrt.
»Die Linien, die du immer anstarrst - wir bekommen sie, wenn wir das Alter der ersten Reife erreichen.«
»Ich wollte nicht …«, begann Awin eine lahme Entschuldigung. Dann fragte er: »Was bedeuten sie?«
»Kennt ihr Hakul keine Sternzeichen?«
Awin schüttelte den Kopf. »Die Akkesch deuten die Gestirne, aber
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