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Der Sohn des Sehers 01 - Nomade

Titel: Der Sohn des Sehers 01 - Nomade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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doch eher für einen der unseren, nicht wahr?«
    »Oh, ihr könnt sie haben, sie ist viel zu blass«, erwiderte Harbod gönnerhaft.
    »Aber wir wollen sie doch auch nicht«, rief Tuwin lachend, »bis auf einen vielleicht!«
    Awin schnitt sich ein Stück Trockenfleisch ab und versuchte, den Spott zu überhören. Er blickte hinüber zur Stadt. Fackeln brannten auf den mächtigen Mauern. Merege war also an den Fluss gegangen. Es war wirklich ein seltsamer Zeitpunkt, um
ein Bad zu nehmen. Ob sie ihre Kleider wohl alle ablegt, wenn sie badet? , fragte eine innere Stimme. Er versuchte geflissentlich, sie zu überhören, und war sehr erleichtert, als der Yaman die Spötteleien unterband. »Ich freue mich, dass ihr lacht, ihr Männer, hier im Angesicht unserer Feinde. Und das, obwohl wir noch nichts erreicht haben auf unserer Jagd nach dem Mörder unseres Freundes.«
    Die gute Laune war augenblicklich wie weggewischt.
    »Sagtest du nicht, dass ihr heute Nacht ergründen könntet, ob der Mann aus der Halle der Gesuchte ist oder nicht?«, fragte Harbod nach einer Weile betretenen Schweigens.
    »So ist es«, erwiderte der Yaman.
    Wieder war es Curru, der sich erhob und das Wort ergriff. »Vielleicht weißt du es nicht, Harbod, denn es lebt ja kein Seher in deinem Klan, aber es gibt einen Weg, einen gefährlichen Weg, der uns die Wahrheit enthüllen wird - einen Pfad, den nur die Seher einschlagen können.«
    Harbod lachte laut auf. »Es wäre etwas Neues, aus deinem Munde einmal die Wahrheit zu hören, ehrenwerter Curru!«
    Die Hand Currus fuhr zum Dolch. »Treibe es nicht zu weit, Harbod!«
    Eine Menge Hände lagen auf einmal auf Dolch- und Schwertgriffen. Der Yaman hob den Arm. »Reicht es nicht, dass wir tief im Feindesland sind?«, rief er zornig. »Müssen nun unsere Krieger sich auch gegenseitig an die Gurgel gehen? Ich sage, der Erste, der hier seine Waffe gegen einen anderen Hakul zieht, hat sein Leben verwirkt! Und ich selbst werde es nehmen!«
    Die finstere Drohung reichte aus, die Sichelschwerter blieben stecken. Awin fiel auf, dass er Eri nicht mehr sah. Er wäre doch sonst der Erste gewesen, hier einen Streit vom Zaun zu brechen. Wo war er? Awin bekam ein sehr ungutes Gefühl, und er hörte kaum zu, als Curru seine Erklärung fortsetzte: »Es
gibt ein altes und mächtiges Ritual, das dem Kundigen enthüllt, was war, was ist und was sein wird, eine Reise des Geistes. Mein Meister, der berühmte Kluwe, hat mir ihre Geheimnisse enthüllt. Doch ist sie gefährlich, denn wer die Schicksalsfäden lesen will, muss unter die Augen Tengwils treten. So mancher Seher ist von dieser Reise mit leerem Geist zurückgekehrt. Ich selbst habe es gesehen - es ist dann, als habe die Weberin den Faden des Reisenden aus der Hand gelegt und entschieden, dass sein Schicksal endet, obwohl er noch lebt. Er liegt in völliger Umnachtung, lebend, doch unfähig zu essen, zu trinken oder auch nur die Augen zu öffnen, bis er, Tage später, an Hunger und Durst qualvoll zu Grunde geht.«
    Awin vergaß über der Schilderung des Alten nicht, dass sowohl Merege wie auch Eri fort waren, aber jetzt lauschte er gebannt. Er hatte von diesem Ritual gehört. Es gehörte zu den Geheimnissen, die ihm erst bei seiner Weihe enthüllt werden würden, und deshalb kannte er keine Einzelheiten, wusste nur, dass es eine verzweifelte Maßnahme für Zeiten großer Not war. Es wäre außerordentlich mutig von seinem Meister, dieses Ritual durchzuführen.
    »Und weil wir so dringend erfahren müssen, wer unser Feind ist und wo er sich aufhält«, erklärte der Seher jetzt, »werden mein Schüler und ich diese Gefahr heute Nacht auf uns nehmen.«

Gesichte
    DIE NACHT WAR inzwischen angebrochen, und tausend Sterne funkelten von einem wolkenlosen Himmel. Ein leichter Wind strich über die karge Ebene, in der die Hakul ihr Lager aufgeschlagen hatten. Awin saß da wie gelähmt und starrte seinen Ziehvater an. Sein Herz pochte wild. Curru wollte ihn mitnehmen? War das nun eine Auszeichnung oder ein Versuch, ihn umzubringen? Vielleicht beides? Das Ritual der Reise war etwas, worüber selbst die Alten nur im Flüsterton sprachen. Awin erinnerte sich, dass er einmal gehört hatte, wie einer über seinen Vater Kawet sagte, er sei ein großer Seher gewesen, doch mit dem Makel behaftet, niemals diese Reise gewagt zu haben. Und jetzt sollte er …?
    Curru gab Anweisungen zur Vorbereitung des Rituals. Ein Kreis musste mit Speeren abgesteckt werden, acht Schritte im Durchmesser.

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