Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
überwinden wir ihre Wachen und die Winde, Awin Sehersohn?«
Awin biss sich auf die Lippen. Er musste sich eingestehen, dass er immer noch keinen Plan, ja, noch nicht einmal eine ungefähre Vorstellung davon hatte. Lahm sagte er: »Wir haben Krieger, vielleicht können wir uns den Weg freikämpfen.«
Merege widersprach ganz gelassen: »Hat Slahan nicht Dutzende, vielleicht sogar hunderte Krieger verschleppt, die nun für sie kämpfen? Hat sie nicht mächtige Windskrole auf ihrer Seite? Glaubst du wirklich, dass wir mit roher Gewalt etwas erreichen können?«
Awin seufzte. Wenn nicht mit roher Gewalt, wie dann? Sollten sie die Göttin vielleicht anflehen? Er sah Mahuk Raschtar zu, der hinunter zum Bach gegangen war und sich mit dem eisigen Wasser wusch. Er musste Senis noch einmal fragen. Und dazu musste er auf die Reise gehen. Träume waren einfach zu unzuverlässig und ihre Bilder zu rätselhaft. Er erinnerte sich an den Sichelsee, die Wölfe. Ihm wurde kalt. War das bereits geschehen? Hatten alle Wölfe des Staublandes sich gesammelt und waren über die Hakul hergefallen? Senis hatte gesagt, er dürfe sich nicht ablenken lassen. Dann kam ihm das zweite Bild in den Sinn. Die schwarzen Wölfe, die sich in Reiter verwandelt hatten. Er schloss die Augen und rief sich das Bild noch einmal in Erinnerung. Er hatte sie auf dem See gesehen. Nein. Es war eine blendend helle Fläche, aber es war kein Eis. Awin öffnete die Augen wieder. Jetzt wusste er, was er gesehen hatte. »Tuge, Harmin«, rief er.
Ein ganzer Berg Laub geriet in Bewegung, wurde zur Seite geworfen, und mittendrin tauchte die Gestalt des Schmiedes auf. Er wirkte verstört, offenbar hatte Awin ihn aus dem tiefsten Schlaf gerissen. Harmin schüttelte sich. Dann fragte er: »Was gibt es, Yaman Awin?«
Awin wartete, bis Tuge zu ihnen gestoßen war.
Harmin erhob sich unterdessen und streckte sich. »Wirklich, ich bin zu alt, um auf der nackten Erde zu schlafen. Das war mein letzter Kriegszug, so wahr ich Harmin der Schmied bin«, brummte er missmutig.
Tuge schien die Nacht besser überstanden zu haben. Er wirkte geradezu unverschämt munter und klopfte Harmin freundlich auf die Schulter. »Was gibt es denn so Wichtiges, dass du alle Männer aufwecken musst, Yaman?«, fragte er fröhlich.
»Tengwil hat mir wieder einen Traum gesandt. Ich sah vieles,
von dem ich euch später berichten kann, doch ich sah vor allem eine große Schar Schwarzer Hakul im Blendland.«
Tuges Fröhlichkeit verschwand. »Im Blendland? Wann?«
Awin seufzte. »Ich kann dir nicht sagen, ob gestern, heute oder morgen, Tuge, aber ich denke, wir sollten Späher in diese Richtung schicken.«
»Konntest du sehen, wer diese Schar anführt, Seher?«, fragte Harmin besorgt.
Awin schüttelte den Kopf. »Ich sah erst Wölfe, dann verwandelten sie sich in Schwarze Hakul. Gesichter sah ich nicht. Doch die Wölfe lassen mich denken, dass sie nicht als unsere Freunde kommen.«
»Ich werde Limdin und Dare schicken, und ich werde unseren Leuten sagen, dass sie kein Feuer machen dürfen. Und diesen Waldmenschen sage ich es auch.«
»Gut, ihr beide führt in meiner Abwesenheit den Sger. Bleibt tief im Wald. Hier scheinen wir doch wenigstens vor menschlichen Augen sicher.«
Tuge kratzte sich am Hinterkopf. »Wenn sie blind sind und die Krähen nicht sehen, die über uns kreisen.«
»Oder unsere Spuren von gestern«, ergänzte Harmin. »Aber wohin willst du jetzt gehen, Yaman?«
»Ich gehe mit Mahuk Raschtar. Er will offenbar, dass wir diese geheimnisvolle Flechte nur zu zweit suchen. Warum auch immer.«
»Eine Falle?«, fragte Harmin argwöhnisch.
»Was sollte das für einen Sinn haben?«, fragte Awin zurück.
Harmin zuckte mit den Schultern. »Er ist verrückt. Und wenn er seinen Stab mitnimmt, steht es in gewisser Weise zwei gegen eins. Vielleicht will er dich an Slahan verkaufen?«
»Du bist ein Schwarzseher, Harmin. Ich denke, er will nur möglichst wenig Aufsehen erregen. Deshalb die kleine Zahl.«
»Vier oder fünf, das ist eine kleine Zahl«, meinte Tuge trocken, »zwei ist Wahnsinn.«
Jetzt war es an Awin, mit den Schultern zu zucken. »Alles, was wir hier tun, ist Wahnsinn, Tuge. Vielleicht ist das unsere beste Waffe.«
Dann verabschiedete er sich und lief zum Bach. Kaltes Wasser würde ihm guttun. Wahnsinn als beste Waffe? Er redete schon sinnloses Zeug, genau wie Curru, wenn er nicht weiterwusste.
Mahuk Raschtar erwartete ihn am Bach. Er unterhielt sich mit seinem Stock,
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