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Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger

Titel: Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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während Awin sich eiskaltes Wasser ins Gesicht schöpfte. »Wo finden wir diese Flechte, ehrwürdiger Raschtar?«, fragte Awin dann.
    »Nicht weit von hier. Eine Stunde vielleicht.«
    »Ich hole mein Pferd.«
    »Nein. Wir gehen zu Fuß.«
    Awin starrte den Mann an. »Ich bin ein Hakul.«
    »Wir gehen zu Fuß«, wiederholte der Raschtar. »Oder gar nicht.«
    Awin gab nach, auch wenn ihm der Gedanke, ohne Not eine ganze Stunde zu Fuß zu laufen, mehr als befremdlich erschien. Sie verließen den Wald und liefen über die Ebene. Ihr Ziel war ein buckliger Felsen, in dessen Schatten ein weiterer kleiner Wald gewachsen war. Mahuk war schnell, und Awin, der das Laufen nicht gewohnt war, kam bald außer Atem. »Warum zu Fuß?«, fragte Awin irgendwann.
    »Raschtar reiten nicht«, lautete die knappe Antwort.
    »Und deshalb darf ich auch nicht reiten?«
    »Yeku will nicht zu dir aufsehen, weil du auf einem Pferd sitzt, Yaman.«
    Wieder war sich Awin nicht sicher, ob der Ussar ihn nicht
vielleicht doch foppte. Bald darauf erreichten sie den großen Felsen. »Und wo ist jetzt diese Flechte?«, fragte Awin.
    »Auf dem Felsen. Wir müssen klettern.«
    Awin besah sich den Buckel des Felsens. Klettern?
    »Auf der anderen Seite geht es leichter«, meinte der Raschtar gutmütig. Sie umrundeten den grauen Felsen, und wirklich war er auf der anderen Seite weit weniger steil. Awin war jedoch, im Gegensatz zu Mahuk, kein geübter Kletterer. Der Ussar war ihm stets weit voraus und wartete mit einem entspannten Lächeln auf ihn, während Awin sich noch den Felsen hochstemmte. Aber irgendwann, es war später Vormittag, war es doch geschafft: Awin stand auf dem Rücken des Steins. Die Aussicht war überwältigend. Die weite Ebene breitete sich zu Awins Füßen aus. Er sah kahle Birkenwälder und die Buckel vieler weiterer Felsen. Und vor ihm, gar nicht weit entfernt, erhob sich die große Staubwolke, in der sich Slahan aufhielt. Sie schien sich langsam um sich selbst zu drehen. Manchmal zuckten Blitze durch den Staub. Das war neu. Awin hatte im Ahnental und auch am Sichelsee manche Erzählung über Slahans verheerende Angriffe gehört, aber in keiner war davon die Rede gewesen, dass sie Blitze schleuderte. Die Festung selbst konnte Awin nicht entdecken, sie war ganz vom Staub verschluckt. Irgendwo dort waren seine Schwester und all die anderen Hakul, die die rachsüchtige Göttin verschleppt hatte.
    »Du hast gesagt, Yaman, dass ihr Winde dienen. Yeku glaubt dir, da er das sieht.«
    Ohne seinen Blick von diesem dunklen Wirbel abzuwenden, fragte Awin: »Und zeigt Yeku uns jetzt diese Flechte?«
    »Dazu brauchen wir ihn nicht. Ich kenne sie selbst. Dort, siehst du?«
    Über die Wetterseite eines Felsvorsprungs zog sich eine rötlich gelbe Flechte hin. Awin betrachtete sie und sagte langsam:
»Sie gleicht jener, die wir unten am Fuß des Felsens gesehen haben.«
    »Oh, am Bach wächst sie auch. Aber die hier ist stärker«, behauptete der Raschtar mit undurchsichtiger Miene. Er zog eine Klinge, die, wie Awin erstaunt feststellte, aus Feuerstein gefertigt war, beugte sich über die Flechte und begann vorsichtig, ein großes Stück herauszulösen. Dabei murmelte er leise vor sich hin. Es klang wie ein Gebet.
    »Warum hast du mich hier heraufgeführt, Mahuk?«
    Der Raschtar rollte die Flechte sorgsam zusammen und verstaute sie in seinem Beutel. Er zwinkerte Awin zu und deutete mit ausladender Geste hinaus über die Ebene. »Du bist ein Seher. Also sieh!«
    Awin folgte der Geste. Dort war Slahan, alles beherrschend sandte sie ihre wetterleuchtende Wolke weit in den Himmel. Es sah fast so aus, als wolle sie nach Edhils Sonnenwagen greifen. Awin stutzte. Da war noch eine Staubwolke. Weiter entfernt, im Süden. »Die Viramatai?«, fragte er.
    »Sie sind schnell. Schneller, als ich dachte«, sagte Mahuk. »Und dort?« Der Ussar wies nach Norden. Awin entdeckte eine weitere Fahne aus Staub über der Ebene. »Hakul«, stellte er nüchtern fest. Wenn sie vom Norden kamen, konnten es nur die Eisernen sein. Awin legte die Stirn in Falten. Gerwi hatte angeblich Reiter in die Verborgene Stadt geschickt. Aber lag die nicht viele Tage entfernt? Gerwis Männer konnten sie noch nicht erreicht haben. Das Ross-Orakel! Vermutlich hatten die heiligen weißen Stuten den Tiudhan gewarnt. Deshalb zog er mit seinen Kriegern dem Schrecken entgegen. Ob das Orakel ihm auch gesagt hatte, dass er mit seinen Waffen nicht viel gegen die Göttin ausrichten würde? Der Staubwolke

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