Der Sohn des Verräters - 21
wie anders der Mann wirkte.
Domenic zögerte. Sollte er sich zeigen und mit seinem Freund reden, oder sollte er unsichtbar bleiben, wie es ihm Herm befohlen hatte? Als hinter Fredrich einen Moment später Aran MacIvan das Gasthaus betrat, entschied er, dass er lieber Herm von dieser neuen Entwicklung unterrichten sollte, bevor er irgendetwas anderes unternahm. So ein Dasein als Spion war komplizierter, als er gedacht hatte.
Onkel Ian!
Ja, Tomas?
Ich glaube, wir haben Verstärkung bekommen. Ein paar pensionierte Gardisten aus Thendara sind gerade ins Gasthaus gekommen, sie sind angezogen wie normale Leute, und ich kann mir nicht vorstellen, was sie hier zu suchen hätten es sei denn, sie sollen mich zur Burg zurückschleifen.
Haben sie dich gesehen?
Noch nicht. Ich lauere hier halb im Dunkeln.
Dann lass sie vorläufig in Ruhe. Wir dürfen weder auf uns
noch auf sie zu viel Aufmerksamkeit lenken. Ist Vancof schon zurück?
Ich habe ihn nicht gesehen, aber ich war oben im Zimmer, wie du mir befohlen hast. Er merkte, dass sein Gefühl, schlecht behandelt zu werden, selbst bei telepathischer Kommunikation herauszuhören war.
Armer Tomas. Ich gönne dir überhaupt keinen Spaß, stimmt’s? Warum unternimmst du nicht einen Streifzug in die Küche?
Was soll ich dort?
Halbwüchsige Jungen sind immer hungrig, deshalb gibt es kein Gerede, wenn du dich dort herumtreibst. Und wenn dann Vancof durch die Hintertür ins Gasthaus kommt, siehst du ihn mit Sicherheit.
Was ist, wenn mich der Koch hinausjagt? Oder wenn mich Vanrof bemerkt?
Lass dir was einfallen. Du hast doch schon bewiesen, dass du das kannst.
Das war allemal besser, als tatenlos herumzusitzen, und er war tatsächlich ein bisschen hungrig. Wenigstens hatte Onkel Herm ihn nicht wieder ins Zimmer geschickt! Domenic fo lgte dem Geruch von frischem Brot in den hinteren Teil des Krähenden Hahns und fand sich in einer großen, sehr sauberen Küche wieder. Zwei Mädchen saßen nebeneinander an einem langen Tisch, schnitten Gemüse und plauderten leise. Am anderen Ende des aufgeheizten Raums zog ein Junge Brotlaibe aus einem riesigen Ofen, der die Form eines Bienenkorbs hatte; er benutzte ein langes Holzpaddel, damit er sich nicht die Hände verbrannte. Der Koch, ein sehr hagerer Mann, stand vor dem Herd und rührte in einem Topf, dem der wundervolle Duft von Eintopf mit Klößen entströmte. Domenic lief das Wasser im Munde zusammen.
Eines der Mädchen blickte von der Arbeit auf und lächelte ihm freundlich zu. Es sah ein, zwei Jahre jünger aus als er, und seinem Gesicht nach musste es mit dem Wirt verwandt sein.
Jedenfalls hatte es die gleiche aufwärts gebogene Nase wie Evan MacHaworth. Die Kleine winkte Domenic mit dem Messer in der Hand an den Tisch. „Kannst wohl nicht bis zum Abendessen warten, was?“ „Ich bin ein bisschen hungrig“, gab er zu und setzte sich gegenüber von ihr auf die Bank. „Kann ich etwas helfen?“ Beim Klang seiner Stimme drehte sich der Koch um und sah ihn an, bevor er weiter in dem Topf rührte.
Das Mädchen kicherte, als hätte es in seinem ganzen Leben noch nie etwas so Komisches gehört. Dann stand es auf, nahm einen Brotlaib, der bereits am Tischende lag, und schnitt ihn in zwei Hälften, die es in einen Korb tat. Mit diesem und einem zweiten Korb, der irgendwelches Grünzeug enthielt, kam es an den Tisch zurück.
„Hast du schon mal grüne Bohnen abgezogen?“ „Nein, aber wenn du mir zeigst, wie es geht, kann ich es wahrscheinlich.“ „Dir muss wirklich langweilig sein, wenn du freiwillig Bohnen abziehen willst. Hier, so macht man es.“ Die Kleine zeigte es ihm mit ein paar raschen Handgriffen. „Ich hasse es, aber so, wie unser Koch sie zubereitet, lohnt sich die Mühe. Er brät sie mit Schinken an, das schmeckt köstlich!“ Sie drehte sich um und grinste den Rücken des hageren Kochs an, und Domenic hatte den Eindruck, dass es sich um eine Art Scherz zwischen den beiden handelte.
„Klingt gut.“ Er riss ein Stück Brot ab, biss hinein und fing an, die Bohnen abzuziehen. Es war keine sehr anspruchsvolle Tätigkeit, aber immer noch besser, als im Zimmer zu sitzen und darauf zu warten, dass etwas passierte. Er verstand allerdings, warum das namenlose Mädchen die Arbeit satt hatte.
Das andere Mädchen sah von einem wachsenden Berg Karotten auf, nickte ihm kurz zu und warf seiner Kollegin einen nachdenklichen Blick zu. Domenic spürte die Wachsamkeit und das leichte Unbehagen des Mädchens, und er wusste ohne
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