Der Sohn des Verräters - 21
einverstanden wäre.“ „Das beruhigt mich, da ich bis auf gelegentliche Briefe seit mehr als zwanzig Jahren keinen Kontakt mit Robert hatte.“ „Das alles macht mich unglaublich wütend, Onkel Herm. Am liebsten würde ich diese Männer in Stücke sprengen – ihr Gehirn in Gelee verwandeln.“ „Könntest du das?“ Herm sah beunruhigt aus.
„Ja, und Mutter und Großvater Lew könnten es auch. Die Nachwirkungen wären fürchterlich, und außerdem wäre es falsch, aber möglich ist es. Ich glaube nicht, dass so etwas schon einmal vorgekommen ist, aber ich weiß, dass meine Mutter durch Berührung einen Mann tödlich verbrannt hat, das war vor vielen Jahren, bevor ich zur Welt kam. Und sie hat mit Hilfe ihrer Befehlsstimme ein paar Banditen zu Statuen im Schnee verwandelt“ Herm sah den Jungen an, als wüsste er nicht recht, ob er ihm glauben sollte. „Hmm. Das eröffnet einige Möglichkeiten, an die ich bisher nicht gedacht hatte. Ich war zu lange weg.“ „Und dann wäre da noch Vaters Matrix.“ „Mikhails Matrix? Was ist mit der?“ „Ich bin mir nicht absolut sicher, aber alle, selbst Onkel Regis, fürchten sich vor ihr und vor dem, was sie anrichten kann.
Sie stammt von Varzil dem Guten und … aber vielleicht sollte ich nichts mehr erzählen.“ Herm antwortete nicht sofort. „Varzil? Das ergibt keinen Sinn – wenn du seine Matrix meinst. Alle Legenden in den Hellers behaupten, dass sie vor Jahrhunderten verloren ging.“ „Sie war verloren – bis sie in unsere Zeit zurückkam.“ „Und ich dachte immer, mich könne nichts mehr überraschen. Nein, sprich nicht weiter. Wenn Lew gewollt hätte, dass ich es weiß, hätte er mir bestimmt alles erzählt. Kannst du am anderen Ende des Flurs irgendwelche nützlichen Brocken aufschnappen?“ „Nein. Ich kann sogar zum ersten Mal seit Jahren so gut wie gar nichts hören. Ich glaube, im Moment bin ich zu müde, um als Spion zu taugen, Onkel Herm.“ „Und das ist auch gut so! Ich habe deine Gaben ausgenutzt, ohne viel darüber nachzudenken, wie sich diese enormen Anstrengungen auf dich auswirken. Lass uns jetzt schlafen. Heute Nacht passiert nichts mehr – hoffe ich jedenfalls.“ Domenic rieb sich die brennenden Augen. Dann bückte er sich und zog seine Stiefel aus. „Ich wünschte, ich wäre nicht so moralisch und nicht so furchtbar müde, Onkel Herm. Denn wenn ich es nicht wäre, würde ich meine geistigen Fühler einfach bis zum Ende des Flurs ausstrecken …“ „Überlass das Unmoralische mir, mein Junge. Darin habe ich mehr Übung. Tu du einfach weiter, was richtig ist, und ich übernehme die Drecksarbeit. Irgendwie werden wir schon aus diesem Schlamassel herauskommen.“
19
Domenic schlug abrupt die Augen auf, und war ohne die übliche Benommenheit sofort hellwach. Verwirrt setzte er sich auf und spähte in das dunkle Zimmer. Herm schnarchte auf der anderen Bettseite, es war ein nicht unangenehmes, gleichmäßiges Geräusch, das Domenics Ruhe nicht gestört hatte. Der Wind hatte aufgefrischt, er peitschte den Regen gegen das Fenster und rüttelte an den Läden. Der Junge hörte das Regenwasser von der Dachrinne in das Fallrohr strömen und unten in den Hof plätschern. Er rieb sich die Augen und kratzte sich am Kopf, und als er merkte, wie müde er immer noch war, sank er wieder ins Kissen.
Was hatte ihn geweckt? Es war kein Geräusch gewesen, sondern mehr ein Gefühl, eine Veränderung irgendwo in der Nähe. Aha, sein mentales Gleichgewicht war zurückgekehrt, und er konnte die zufälligen Gedanken der Leute in seiner Nähe wieder auffangen. Einen Moment lang bedauerte er es beinahe – es war so erholsam gewesen, vor Müdigkeit keine Gedanken zu hören. Aber er war wieder er selbst, und das freute ihn. Vancof und Granfell hielten sich am anderen Ende des Flurs auf - heckten sie etwa neue Übeltaten aus? Domenic ließ seinen Geist wie eine Feder durch das Gasthaus streichen und kurz die Träume der Bewohner berühren. Außer ihm waren noch verschiedene andere Leute wach – Vancof, wie es schien, nicht jedoch Granfell, und mindestens zwei Männer der Garde. Aber da war noch ein Bewusstsein, ein unruhiges, und sofort wusste er, es war Illona. Sie schlich aus dem Zimmer, das sie sich mit den Entsagenden teilte, und sie suchte nicht nach dem Örtchen!
Ihre Oberflächengedanken waren wirr und voller Angst. Sie hatte die Absicht, sich von ihren Rettern zu entfernen, aber Domenic konnte nicht die Spur eines tatsächlichen Plans entdecken.
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