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Der Sohn des Wolfs

Der Sohn des Wolfs

Titel: Der Sohn des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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sprang Mackenzie auf ihn los, daß er zurückwich und der Schrei in seiner Kehle erstickte. Sein Erschrecken wurde mit schallendem Gelächter begrüßt, und Mackenzie bekam einen Augenblick Ruhe zum Sprechen.
    »Brüder! Der weiße Mann, den ihr den ›Wolf‹ zu nennen beliebt, kam mit aufrichtigen Worten zu euch. Er war nicht wie der Innuit. Er sprach keine Lügen. Er kam als Freund und wollte euer Bruder sein. Aber eure Männer haben gesprochen, und die Zeit der sanften Worte ist vorbei.
    Zunächst will ich euch sagen, daß der Schamane eine böse Zunge hat und ein falscher Prophet ist und daß die Botschaft, die er brachte, nicht vom Feuerbringer ist. Seine Ohren sind der Stimme des Raben verschlossen, und in seinem eigenen Kopfe hat er listige Pläne erdacht und euch zum Narren gehalten. Er hat keine Macht. Als eure Hunde verzehrt wurden, als euer Magen schwer war von ungegerbten Häuten und Mokassinstreifen, als die alten Männer starben, als die alten Frauen starben, und als die Säuglinge an den vertrockneten Brüsten der Mütter starben, als das Land finster war und ihr zugrunde ginget wie der Lachs in der Falle, ja, als die Hungersnot unter euch herrschte, brachte da der Schamane euern Jägern Glück? Brachte er euerm Magen Fleisch? Ich sage euch, der Schamane hat keine Macht. Seht, ich speie ihm ins Gesicht!«
    Trotz aller Bestürzung über die Lästerung war kein Laut zu hören. Einige der Frauen waren zwar entsetzt, aber unter den Männern war nur eine Spannung zu spüren, als erwarteten sie ein Wunder. Aller Augen richteten sich auf die Hauptdarsteller.
    Der Priester war sich klar, daß ein kritischer Augenblick gekommen war, er fühlte seine Macht wanken, öffnete den Mund zu Drohungen, wich aber vor dem furchtbaren Vorrücken Mackenzies, seiner erhobenen Faust und seinen flammenden Blicken zurück.
    Mackenzie lächelte höhnisch und fuhr fort:
    »Bin ich getroffen? Hat der Blitz mich verbrannt? Sind die Sterne vom Himmel gefallen und haben mich zerschmettert? Pah! Mit dem Hund bin ich fertig! Und jetzt will ich euch von meinem Volk erzählen, dem mächtigsten aller Völker, die auf Erden herrschen. Zuerst jagen wir, wie ich jage – allein. Dann aber jagen wir in Rudeln, und zuletzt wimmelt das ganze Land von uns wie von den Rentieren. Wen wir in unsere Wohnungen nehmen, der lebt. Wer nicht kommen will – stirbt. Zarinska ist ein schönes Mädchen, aufrecht und stark. Wohl geeignet, die Mutter von Wölfen zu werden. Selbst wenn ich sterbe, wird sie es werden; denn meiner Brüder sind viele, und sie werden der Spur meiner Hunde folgen. Hört das Gesetz des Wolfes: Wer das Leben eines Wolfes nimmt – zehn von seinem Volke sollen mit ihrem Leben dafür büßen. In vielen Ländern ist der Preis bezahlt worden, in vielen Ländern wird er bezahlt werden.
    Laßt mich wieder zurückkommen auf den Bären und den Fuchs. Es schien, als hätten sie beide ihre Augen auf das Mädchen geworfen. Aber seht, ich habe sie gekauft! Thling-Tinneh stützt sich auf die Büchse, die andern Waren liegen an seinem Feuer. Aber ich will den jungen Männern entgegenkommen. Dem Fuchs, dessen Zunge trocken von vielen Worten ist, will ich fünf lange Rollen Tabak geben. Dann kann sein Mund wieder feucht werden und seine Zunge im Rate lärmen. Dem Bären aber, auf den ich stolz bin, will ich zwei Decken, zwanzig Tassen Mehl und ebensoviel Tabak wie dem Fuchs geben. Und wenn er mit mir über die Berge im Osten zieht, dann will ich ihm eine Büchse geben, wie Thling-Tinneh sie bekam. Wenn nicht: Gut! Der Wolf ist der Worte müde. Doch noch einmal will er die Worte des Gesetzes sagen: Wer das Leben eines Wolfes nimmt – zehn von seinem Volke sollen mit ihrem Leben dafür büßen.« Mackenzie trat lächelnd auf seinen Platz zurück, aber im Innern war er unruhig. Die Nacht war noch finster. Das Mädchen trat zu ihm, und er hörte genau zu, wie sie ihm von den Kunstgriffen des Bären im Messerkampf erzählte.
    Die Entscheidung fiel für den Kampf. Im Handumdrehen waren Dutzende von Mokassins dabei, den in den Schnee gestampften Platz um das Feuer zu erweitern. Es wurde viel über die anscheinende Niederlage des Schamanen gesprochen. Manche behaupteten, er hätte nur seine Macht zurückgehalten, während andere sich an frühere Begebenheiten erinnerten und dem Wolf recht gaben. Der Bär trat in die Mitte des Kampfplatzes, ein langes entblößtes Jagdmesser russischer Arbeit in der Hand. Der Fuchs machte darauf aufmerksam, daß Mackenzie

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