Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn des Wolfs

Der Sohn des Wolfs

Titel: Der Sohn des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
Vom Netzwerk:
weichen Oberfläche und stampften den Schnee so fest, daß die Hunde nicht einsinken konnten. Seine Frau ging hinter dem letzten Schlitten und zeigte bald, daß sie langjährige Übung in der Handhabung des unbequemen Fußzeugs hatte. Die Stille wurde von ihren heiteren Abschiedsgrüßen durchbrochen, die Hunde heulten, der mit den Otternfellen gab einem widerspenstigen Hunde einen Peitschenhieb. Eine Stunde darauf sah der Zug wie ein schwarzer Bleistift aus, der in langer gerader Linie über einen mächtigen Foliobogen kroch.
     
     
    Viele Wochen später waren Malemute Kid und Prince eines Abends damit beschäftigt, Schachaufgaben nach der ausgerissenen Seite einer alten Zeitschrift zu lösen. Kid war soeben von seinen Bonanza-Besitzungen heimgekehrt und gönnte sich eine kurze Ruhepause vor Beginn einer langen Elchjagd. Prince war auch fast den ganzen Winter fortgewesen und hatte sich nach der friedlichen Ruhe in der Hütte gesehnt.
    »Setz den Springer dazwischen und melde Schach. Nein, das geht nicht! Sieh, der nächste Zug – «
    »Was hast du davon, wenn du den Bauern zwei Felder vorsetzt? Er muß schräg schlagen, und wenn der Läufer dann aus dem Wege ist – «
    »Aber warte mal! Dann gibt es hier eine Lücke – «
    »Nein, er ist gedeckt. Mach weiter. Du wirst sehen, es hilft.«
    Es war sehr interessant. Zweimal wurde an die Tür geklopft, ehe Malemute Kid »Herein!« rief. Die Tür sprang auf. Etwas wankte herein. Prince sah nur einen Schimmer davon und sprang auf. Das Entsetzen in seinen Augen ließ Malemute Kid sich umdrehen, und auch er war bestürzt, obwohl er schon manches Schlimme gesehen hatte. Das Ding wankte blind auf sie zu. Prince zog sich zurück, bis er den Nagel erreichte, an dem sein »Smith and Wesson« hing.
    »Herrgott! Was ist das?« flüsterte er Malemute Kid zu.
    »Weiß nicht. Sieht aus wie ein Fall von viel Kälte und wenig Essen«, antwortete Malemute Kid, indem er sich nach der entgegengesetzten Seite zurückzog.
    »Paß auf, vielleicht ist er verrückt«, warnte er, nachdem er die Tür geschlossen hatte.
    Das Ding näherte sich dem Tische. Die klare Flamme der Tranlampe fing seinen Blick. Das erheiterte es, und es brachte einige unheimliche, schnarrende Töne hervor, die Lustigkeit bedeuten sollten. Dann aber warf er sich – denn es war ein Mann – plötzlich vor, zerrte an seinen Lederhosen und begann ein Lied zu singen, wie Seeleute tun, wenn sie am Gangspill arbeiten und die See ihnen in die Ohren heult:
    »Yan – kee kam den Fluß herunter.
    Zieh! Du Räuberbande! Zieh! Kennt ihr den Kapitän, ihr Jungens?
    Zieh! Räuberbande! Zieh! Jon – a – than Jones von Süd Caho – li – in – a.
    Zieh! Du Räuber – «
    Er brach plötzlich ab, wankte knurrend wie ein Wolf zum Speiseschrank, und ehe sie dazwischentreten konnten, zerriß er mit den Zähnen ein Stück rohen Speck. Malemute Kid rang schwer mit ihm; aber seine Wahnsinnsstärke verließ den Mann ebenso plötzlich, wie sie gekommen war, und ermattet ließ er seine Beute fahren. Sie nahmen ihn zwischen sich und setzten ihn auf einen Stuhl, wo er, mit dem Körper halb über dem Tische liegend, zusammensank. Eine kleine Dosis Whisky kräftigte ihn soweit, daß er einen Löffel in die Zuckerdose tauchen konnte, die Malemute Kid vor ihn hingestellt hatte. Als sein Hunger einigermaßen gestillt war, reichte Prince ihm schaudernd einen Becher dünne Fleischbrühe. Die Augen des Geschöpfes glühten in einem düsteren Feuer, das bei jedem Bissen aufflammte und wieder erlosch. Es war nur sehr wenig Haut in seinem Gesicht, das eingesunken und ausgezehrt war und nur wenig Ähnlichkeit mit menschlichen Zügen hatte.
    Kälte und Frost hatten sich tief eingefressen, jeder neue Frost hatte seinen Schorf über einer halbgeheilten älteren Narbe hinterlassen. Diese trockene, harte Oberfläche war von dunkler, blutiger Farbe und von tiefen zackigen Rissen gefurcht, aus denen das bloße rote Fleisch hervorsah. Seine Pelzkleidung war schmutzig und zerlumpt, und die Haare waren an einer Seite abgesengt, so daß man sehen konnte, wo er am Feuer gelegen hatte. Malemute Kid zeigte auf eine Stelle, wo das gegerbte Leder Stück bei Stück in Streifen geschnitten war – das grausige Zeugnis des Hungers.
    »Wer – bist – du?« fragte Kid langsam und deutlich.
    Der Mann hörte nicht.
    »Wo kommst du her?«
    »Yan – kee kam den Fluß herunter«, lautete die Antwort mit zitternder Stimme.
    »Zweifellos ist der Ärmste den Fluß

Weitere Kostenlose Bücher