Der Sohn (German Edition)
dass Raaijmakers wohl jegliche Verantwortung von sich gewiesen und versucht hat, seinen Quälgeist durch Sturheit zu entmutigen. Doch mein Vater listete in jedem Brief, den er schrieb, unermüdlich einen oder mehrere weitere Mängel auf.
Die stetige Verschlimmerung der Probleme weist darauf hin, dass Raaijmakers sich schlichtweg nicht blicken ließ. Kein Wunder, dass mein Vater mit seinem Ordner vor Gericht gezogen ist und den ganzen Wintergarten von Martin Kraan neu anlegen ließ. Die Kosten für diesen Neubau plus Prozess- und Anwaltskosten hatten Raaijmakers dann offenbar finanziell ruiniert. Erstaunlich, dass mein Vater nicht pleite war, bevor der Fall endlich vor Gericht entschieden war. Das Ganze hat sich über mindestens sechs Jahre hingezogen.
Jetzt wird aber nicht länger gekniffen. Ich blättere zu der Plastikhülle mit dem Foto von Raaijmakers. Ich traue mich kaum, es anzusehen, aber ich muss mich vergewissern, dass ich es mir nicht eingebildet habe.
Ein kurzer Blick genügt.
Derjenige, der das Foto seinerzeit aufgenommen hat, hatte höchstwahrscheinlich gar nicht die Absicht, Raaijmakers darauf zu verewigen. Sein Interesse galt der Steinreihe im Sand mit der waagerecht darübergespannten Schnur, die die Umrisse des entstehenden Wintergartenanbaus markiert.
Raaijmakers steht, die Arme ausgestreckt, neben dem Haus und ist sich der Kamera wohl gar nicht bewusst. Er scheint irgendjemandem, der etwas seitlich hinter dem Fotografen steht, etwas darzulegen. Um die Hüften trägt er, wie ich schon beim ersten Mal bemerkt hatte, einen schweren Gürtel, in dem Werkzeuge ein und derselben Marke stecken. Als ich genau hinsehe, entdecke ich den Schuh meines Vaters, der sich offenbar gerade aus dem Bild herausbewegte.
Der unschuldige, aufregende Beginn eines Zukunftstraums, eines Wintergartens.
Und jetzt ist mein Vater tot.
Es finden sich noch weitere Fotos in dem Ordner. Auf den meisten sind keine Personen zu sehen, sondern nur das Haus, die Umgebung. Sie wurden in verschiedenen Stadien der Bauarbeiten aufgenommen. Auf einem Foto steht der Wintergarten bereits, wenn auch noch nackt und grau, und ein Maler ist dabei, die Wände zu verputzen. Traurige Kosmetik, denke ich. Schöner weißer Putz auf schiefen Wänden – was hat man davon? Danach fällt mir noch etwas auf, worauf ich gestern nicht geachtet habe. Der Typ in der Ecke – kenne ich den nicht von irgendwoher?
»Mam!«, rufe ich nach unten. »Dieser Maler, den ihr hattet, kenne ich den?«
»Maler? Wieso? Ach! Bist du immer noch mit diesem Ordner beschäftigt? Ob du den kennst? Das weiß ich nicht, aber ich glaube, ihr habt ihn uns empfohlen. Das ist doch David, der Sohn von eurer Monica, oder?«
Mir ist, als würde plötzlich ein großer Scheinwerfer eingeschaltet. Oder mache ich nur endlich die Augen auf? Nein, ich kenne Monicas Sohn nicht. Ich habe ihn zwar einmal gesehen, aber da war er sechzehn oder so. Ich denke an Monica. Monica, die immer herzlich und lieb ist. Und vorsichtig, weil sie illegal ist, aber möchte, dass ihr Kind eine Zukunft in diesem Land hat. War Monica nicht geradezu hysterisch, als ich sie vor ein paar Tagen anrief? Monica, die Einzige außer meiner Mutter und Tara, die einen Schlüssel von unserem Haus hat.
Ich kann nicht weiterdenken.
Ich will Jacob anrufen, Jacob muss das erfahren.
Aber ich darf Jacob nicht damit behelligen. Er habe sich noch nicht von seinem Schock erholt, sagt der Arzt.
100
Wir frühstücken zu dritt, Tess, meine Mutter und ich. Tess hat sehr lange geschlafen. Sie isst eine Scheibe Brot mit Schokocreme, langsam und abwesend, jeder Bissen kostet sie Mühe, scheint es. Weil das, was sie isst, ein Ingredienz der Welt ist, die sie anekelt, der sie nicht mehr traut, denke ich, einer Welt, die sie nicht mehr mag. Ich selbst kann auch nichts essen und bin froh, dass sie es wenigstens versucht.
»Mam, wie kam Papa noch mal an diesen Bauunternehmer, diesen Raaijmakers?«, frage ich meine Mutter.
Tess zuckt kurz zusammen und schaut auf. Sie erschrickt inzwischen wirklich über alles.
Ich streichle ihre Hand.
»Sch, Schatz, hier brauchst du keine Angst zu haben.«
»Gott, so genau weiß ich das nicht mehr. Wie ich dir schon erzählt habe, Papa wollte ihm eine Chance geben. Und er hatte, glaube ich, ein günstiges Angebot gemacht, preiswerter als die anderen.«
»Aber warum vertraute Papa darauf? Er wusste doch, dass es dann hinterher oft umso teurer wird! Hatte er es wirklich gut geprüft? Und
Weitere Kostenlose Bücher