Der Sokrates-Club
gibt ganz unterschiedliche Gründe für eine solche moralische Überzeugung. Wenn man all die Gründe, die dagegen sprechen, etwas zu unterlassen, was man gerne täte, zusammentrüge, dann könnte die Grundfrage aller Ethik als gelöst angesehen werden. Tatsächlich gehen in der Philosophie jedoch die Meinungen sehr weit auseinander, was als ein guter Grund aufgefasst werden kann, etwas zu unterlassen, obwohl man es sich wünscht. Ja, es gibt sogar eine starke Position in der zeitgenössischen Philosophie, nach der es streng genommen gar nicht möglich ist, entgegen eigener Wünsche zu handeln. Wir beginnen mit dieser philosophischen Grundproblematik.
Entscheidungstheorie
Rationalität, so meinte David Hume und mit ihm viele seiner Anhänger, besteht darin, die geeigneten Mittel zu wählen, um sich die eigenen Wünsche zu erfüllen. Wünsche hat man oder man hat sie nicht. In letzter Instanz sind diese gegeben und nicht Gegenstand einer rationalen Kritik. Ein berühmtes Zitat von David Hume belegt die Radikalität dieser Position: »It is not irrational to prefer the distruction of the whole world to the scratching of my finger.« Es ist nicht irrational, die Zerstörung der ganzen Welt einer kleinen Verletzung meines Fingers vorzuziehen. David Hume und seine heutigen Anhänger, die möglicherweise nach wie vor die internationale Philosophie dominieren, fühlen sich zu dieser radikalen Position gezwungen, weil sie meinen, dass es keine Möglichkeit gibt, Wünsche in rationaler Weise zu kritisieren. Woher sollte man die Kriterien einer Wunschkritik nehmen? Das Moralische, das Wertende, ist subjektiv. Eine Wissenschaft der Moral im Sinne einer wertenden Stellungnahme gibt es nicht. Wünsche sind subjektiv, und eine Kritik an Wünschen ist ebenfalls subjektiv. Objektiv können wir lediglich bestimmte Fakten feststellen. Theorien, die sich auf Fakten beziehen, können gerechtfertigt oder widerlegt werden. Theorien haben eine Instanz, an der sie sich bewähren können, nämlich die Welt der Fakten. Für moralische Theorien gibt es nur unsere Gefühle, also etwas Subjektives.
Wenn ich den Wunsch habe, morgen Früh mit der Familie in den Urlaub zu fahren, dann wäre es irrational, keinerlei Vorbereitungen zu beginnen. Mein Wunsch würde sich morgen mangels Vorbereitung nicht erfüllen. Könnte man nicht sagen, der Wunsch, heute mit Freunden grillen zu gehen, ist irrational, gegeben das Ziel, morgen in aller Früh in den Urlaub aufzubrechen? Ein Humeaner würde versuchen, mit dieser Problematik in folgender Weise umzugehen: Ich habe offenbar zwei Wünsche: Einen Wunsch, morgen mit der Familie in den Urlaub zu fahren, und einen anderen Wunsch, heute mit Freunden zum Grillen zu gehen. Beide Wünsche lassen sich auch nach meiner eigenen festen Überzeugung zugleich nicht erfüllen. Im Hinblick auf den Wunsch, morgen mit der Familie in den Urlaub zu fahren, ist der Wunsch, heute mit Freunden zum Grillen zu gehen, irrational. Wenn ich den einen Wunsch erfülle, kann ich den anderen nicht erfüllen. Das gilt allerdings ebenso in der Umkehrung. Welcher Wunsch für mich ausschlaggebend ist, kann mir aber keine Ethik sagen, das ist Sache meiner eigenen Bewertung oder Entscheidung oder der Entwicklung meiner Gefühlslage.
Wenn der Wunsch heute Nachmittag so übermächtig ist, dass der andere Wunsch, nämlich morgen in den Urlaub zu fahren, in den Hintergrund gedrängt wird, dann lässt sich rational allenfalls beurteilen, welche Handlungen dieser Wunschsituation angemessen sind. Die Entscheidungen und Handlungen sollten als Mittel zum Zwecke der Wunscherfüllung gesehen werden. Über Rationalität und Irrationalität entscheiden die Wünsche der handelnden Person. Natürlich spielt auch eine Rolle, was die Person weiß. Vielleicht weiß sie nicht, wie aufwendig die Vorbereitungen für den Aufbruch in den Urlaub sein werden oder wie viele Stunden sich ein solcher Grillabend in der Regel hinzieht. Dann wählt sie nicht die geeigneten Mittel zur Erfüllung ihrer Wünsche. Ihr fehlt dazu das notwendige Wissen.
Die zeitgenössische Entscheidungstheorie hat dieses subjektivistische Verständnis von Rationalität in zwei Begriffe gefasst. Das ist einmal der Begriff des Nutzens. Nach modernem Verständnis ist der Nutzen einer Person nichts anderes als die Erfüllung ihrer Präferenzen. Das, was in der Entscheidungstheorie als Nutzenfunktion bezeichnet wird, repräsentiert die Präferenzen der betreffenden Person. Vorausgesetzt wird
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