Der Sokrates-Club
kulturellen Umgebung abhängt, was als richtig oder falsch gelten kann, unangemessen. Bestimmte Erziehungsmethoden behindern die Entwicklung zur eigenverantwortlichen Persönlichkeit. Der Einsatz von Gewalt als erzieherische Maßnahme erschüttert das Selbstwertgefühl von Kindern nachträglich und führt in vielen Fällen dazu, dass sie als Erwachsene selbst zur Gewalttätigkeit neigen. Die Fähigkeit zu praktischer Vernunft, die Aristoteles allen Menschen zuschrieb, muss gefördert und zur vollen Entfaltung gebracht werden. Eine autoritäre, manipulative und kaltherzige Erziehung steht dem im Wege. Ich-Stärke entwickelt sich nur, wenn in frühen Jahren selbstverantwortlich Erfahrungen gemacht werden und Kinder lernen, ihr eigenes Tun zu begründen und zu bewerten. Um diese Erfahrungen zu machen, um die eigene Persönlichkeit zu entwickeln, muss man Kindern einräumen, sehr viel zu dürfen von dem, was sie wollen, auch dann, wenn Zweifel bestehen, ob dies dem Wohl des Kindes im Einzelfall wirklich zuträglich ist. Eine Kontrolle des kindlichen Verhaltens, die jede Verletzung ängstlich ausschließt, würde die Entwicklung zu einer starken, selbstverantwortlichen Persönlichkeit behindern oder sogar unmöglich machen. Solche Erziehungsmethoden führen zu überängstlichen, unsicheren Kindern, die sich im späteren Leben schwertun, Herausforderungen zu bewältigen.
»Man darf nie Sachen tun , die den Leuten wehtun!«
Ander-Interessen
Die Wahrung eigener Interessen ist ein erster Grund, warum wir nicht alles dürfen, was wir wollen. Die Wahrung der Interessen anderer ist ein zweiter. In manchen Fällen führt das, was man in einem bestimmten Augenblick will, dazu, dass andere einen Schaden haben. Das allein ist ein Grund, diese Handlung zu unterlassen. Die Zufügung eines Schadens ist etwas Schlechtes, und daraus folgt eine Verpflichtung, Handlungen, die Schaden zufügen, zu unterlassen. Dieser ethische Grundsatz ist alt, er wurde von den Römern als Prinzip des neminem laedere – Füge niemandem Schaden zu!– formuliert. Diese Pflicht ist eine prima-facie -Pflicht, eine Pflicht, die sich unmittelbar aus der Tatsache ergibt, dass man jemandem Schaden zufügt, die aber durch andere gewichtigere Gründe aufgehoben werden kann.
Wenn ein Rettungsschwimmer der Wasserwacht am Nordseestrand sieht, wie ein Badegast von der Strömung ins Meer hinausgezogen wird, dann verschafft er sich, möglicherweise ohne viel Rücksicht auf Schrammen und Prellungen zu nehmen, den schnellstmöglichen Zugang zum Meer, auch wenn der Strand überfüllt sein sollte. Der eine oder andere Badegast wird dabei kleine Verletzungen davontragen, aber aufgeklärt, was der Grund dafür ist, Verständnis haben. Viele von uns nehmen am Straßenverkehr teil, obwohl die bloße Teilnahme eine gewisse Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer mit sich bringt. Im Recht spricht man hier von » allgemeiner Gefährdungshaftung«, die etwa dazu führt, dass auch derjenige Verkehrsteilnehmer, der sich regelkonform und korrekt verhält, bei Unfällen unter Umständen einen Anteil der Kosten übernimmt, der dieser allgemeinen Gefährdungshaftung entspricht. Jemanden zu schädigen ist nicht generell moralisch untersagt, aber nur gewichtige Gründe können dies rechtfertigen.
Das Verbot, andere zu schädigen, kann man ausweiten zu: Handle nicht gegen die Interessen anderer, außer es gibt dafür einen gewichtigen Grund! Damit ist allerdings die Frage aufgeworfen, was das jeweilige Interesse der anderen ist. Jeder hat ein Interesse an der Bewahrung seines Lebens und an seiner körperlichen Unversehrtheit, an der Bewahrung seines rechtmäßig erworbenen Eigentums, der Fortführung eigener Projekte, der Aufrechterhaltung eines autonomen Lebens.
»… das muss sie dann schon selbst wissen, ob sie dick bleiben will oder nicht.«
Respekt vor der Autonomie des anderen
Bislang haben wir von Interessen gesprochen, die berücksichtigt werden sollten, und von Schädigungen anderer, die zu vermeiden sind. Bei erwachsenen Menschen ist das moralische Verbot zu intervenieren jedoch viel umfassender. Illustrieren wir dies an folgendem Fall. Jemand ist starker Raucher, und der Arzt rät dringend davon ab, das Rauchen fortzusetzen. Die Person weiß, dass sie sich mit dem Rauchen schädigt. Rechtfertigt dies eine Intervention, die es dieser Person unmöglich macht, weiter zu rauchen? Man stelle sich etwa vor, die Raucherin ist mit ihrem Freund auf einer Skihütte, und der Freund
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