Der Sokrates-Club
dabei, dass diese Präferenzen in sich stimmig sind. Diese Stimmigkeit wird in der Entscheidungstheorie in Gestalt von Postulaten, von Forderungen, erfasst. Ein Postulat ist etwa das der Transitivität: Wenn eine Person A gegenüber B vorzieht und B gegenüber C vorzieht, dann zieht sie auch A gegenüber C vor. Im gewissen Sinne ist das auch eine Forderung der Rationalität. Wir könnten sagen, eine Person ist irrational, wenn sie A gegenüber B vorzieht und B gegenüber C vorzieht, aber dann C gegenüber A vorzieht. Sie verletzt die Transitivitätsbedingungen der Rationalität. Solche und ähnliche fundamentale Bedingungen der inneren Stimmungen oder der Konsistenz oder, wie ich es vorziehe, zu benennen, der Kohärenz, reichen aus, um sicherzustellen, dass die Präferenzen einer Person sich in einer Nutzenfunktion zusammenfassen lassen. Eine solche Funktion ordnet jeder Handlungskonsequenz einen Zahlenwert zu. Dieser Zahlenwert wird dann als der subjektive Nutzen der Person interpretiert. Subjektiv deswegen, weil sich dieser Nutzen ausschließlich aus den Präferenzen dieser Person ableitet. Es geht nicht um Zufriedenheit oder Glück oder die Lust-Leid-Bilanz, von der klassische Utilitaristen wie Jeremy Bentham oder John Stuart Mill sprachen. Rationalität kann man demnach als die optimale Erfüllung eigener Wünsche fassen.
Entsprechend scheint es einen Konflikt zwischen Rationalität und Moralität zu geben. Nicht alle unsere Wunscherfüllungen sind– moralisch– erlaubt. Im Gegensatz zu antiken Denkern, die davon überzeugt waren, dass das eigene Wohl und das, was man tun sollte, normalerweise nicht divergieren, beruht ein Großteil der modernen praktischen Philosophie, seit der europäischen Aufklärung, auf diesem Gegensatz von Eigeninteresse und Moral, von Rationalität und Ethik.
Freiheit und Verantwortung
Manchmal wünschen wir etwas, was unseren eigenen Interessen schadet. Das kleine Kind wünscht den Ball, der ihm entglitten ist, möglichst rasch wieder an sich zu nehmen, läuft unüberlegt auf die Straße und gefährdet sich dadurch selbst. Zweifellos wünscht das Kind in diesem Augenblick, den Ball zu greifen, und tut das, was diesem Ziel dienlich ist, nämlich rasch hinterherzulaufen. Dem Kind ist möglicherweise nicht bewusst, dass es sich damit in Gefahr bringt. Es ist in seinem eigenen Interesse, sich nicht in Gefahr zu bringen. Es ist auch im Interesse vieler anderer, dass es sich nicht in Gefahr bringt. Es darf nicht auf die Straße laufen, um den Ball möglichst rasch zu ergreifen, weil es sich damit in Gefahr brächte. Wir dürfen manchmal nicht das tun, was wir wollen, weil dies dem eigenen Interesse zuwiderlaufen würde, dem eigenen Interesse an der Bewahrung des eigenen Lebens und der eigenen Gesundheit. Umso weniger jemand seine eigenen Interessen richtig einschätzen kann, desto mehr ist er darauf angewiesen, dass andere ihn davor bewahren, sich selbst zu schädigen. Daher tragen die Eltern oder die Erziehungsberechtigten die Verantwortung für kleine Kinder. Mit steigender Verantwortungsfähigkeit wächst die Selbstständigkeit, die Eigenverantwortung. Die Autarkie im Wortsinne, der zentrale Wert der griechischen Klassik, muss sich erst entwickeln: die Fähigkeit, sich selbst zu regieren. Aber auch ein Kind, dass noch nicht in der Lage ist, sein eigenes Leben und Handeln zu bestimmen, weil es noch zu vieles will, was Schaden für das Kind oder andere nach sich zöge, ist Träger menschlicher Würde. Es ist nicht lediglich Objekt der Erziehung, sonder auch Subjekt. Die Erfahrung der Selbstwirksamkeit ist der Beginn der Persönlichkeitsbildung. Die Erziehungsberechtigten, die Eltern und Lehrer, verantwortliche Erwachsene, auch ältere Geschwister müssen zulassen, dass das heranwachsende Kind die Erfahrung der eigenen Wirksamkeit macht, dass es auch solche Handlungen vollzieht, die aus der Sicht der älteren Beobachter unvernünftig sind, dass es Erfahrungen macht mit der selbst verantworteten Praxis, allerdings in den Grenzen, die von der Möglichkeit der Selbst- und Fremdgefährdung gezogen sind.
Bei Kindern und Jugendlichen allerdings ist die Sachlage komplizierter. Sie brauchen die Erfahrung autonomen Handelns, können aber nicht die volle Verantwortung für ihr Tun übernehmen. Wie weit die Grenzen der Selbstverantwortlichkeit bei Kindern und Jugendlichen gesetzt sind, variiert von Kultur zu Kultur. Dennoch ist eine kulturrelativistische Haltung, wonach es ausschließlich von der
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