Der Sokrates-Club
Freund zu gehen. Dürft ihr das?
» Nee, das ist doch überhaupt nicht nett!«, sagt ein Mädchen mit dunkelblonden Zöpfen, » weil der Freund doch dann niemand anderen zum Spielen hat.«
» Man kann aber auch anrufen!«, sagt ein dunkelhaariger Junge.
Nehmen wir an, der Junge hat kein Telefon, und nehmen wir ebenfalls an, dass es ihm nicht so viel ausmachen würde, wenn er am Samstag allein bleibt, weil er ohnehin ganz gerne Fernsehen schauen würde. Wäre es dann okay, einfach nicht zu kommen?
Die Kinder denken nach. Das ist keine leichte Frage.
» Na ja, wenn man immer sagt, dass man kommt, und dann kommt man nicht, dann glauben die Leute einem irgendwann nicht mehr. Und das ist auch blöd!«, sagt der Junge mit dem Hulk-T-Shirt.
Reicht das als Grund? Sollte man nur dann ein Versprechen nicht halten, wenn man sicher sein kann, dass man keinen Schaden davontragen wird?
Die Kinder sind unsicher.
Wer sagt Ja, das reicht als Grund?
Etwa die Hälfte der Kinder hebt einen Arm.
Und wer sagt Nein, das reicht nicht?
Die andere Hälfte der Kinder meldet sich.
» Ich habe einmal meiner Oma gesagt, dass ich zu ihr gehe, und dann hatte ich plötzlich keine Lust mehr. Aber dann bekam ich irgendwie so ein schlechtes Gefühl …«, sagt ein Mädchen. (Mehr wissen)
Vielleicht ist ein Versprechen zu geben für sich genommen ein guter Grund, es einzuhalten? Wie ist es denn, wenn eure Lehrerin morgen nicht um Punkt acht Uhr in der Klasse auf euch wartet, sondern einfach eine halbe Stunde später kommt, und am übernächsten Tag eine ganze Stunde später?
Die Kinder lachen.
» Das darf sie doch gar nicht!«, sagt ein kleiner Junge mit empörter Miene.
Und warum nicht?
» Na ja, sie ist doch unsere Betreuerin!«, sagt der Junge und zieht dabei die einzelnen Silben betont in die Länge.
Gut, sie könnte möglicherweise den Kindern damit schaden, die in der Zeit Unsinn machen oder sich wehtun. Aber gibt es noch andere Argumente?
» Sie kann sich auch selbst schaden. Wenn die Rektorin das herausfindet, schmeißt sie unsere Lehrerin vielleicht raus, und dann ist sie arbeitslos und hat nichts zum Essen.«
Einige Kinder grinsen beim Gedanken, eine hungernde Lehrerin vor sich zu haben.
» Also, eine Lehrerin muss pünktlich sein, weil es ihre Pflicht ist!«, sagt ein Mädchen mit einem Pagenkopf.
Wir haben hier ein ähnliches Problem wie eben in unserem Beispiel mit der Verabredung: Soll die Lehrerin nun pünktlich sein, weil das ihre Pflicht ist, oder weil sie sonst befürchten muss, ihre Arbeit zu verlieren?
Die Kinder sind unschlüssig.
Ich gebe euch ein anderes Beispiel: Was ist mit den Eltern? Dürfen die sagen: Ich habe mich sechs Jahre um die Erziehung von meinem Sohn gekümmert, jetzt reicht es mir, er kommt in ein Heim?
Die Kinder schütteln heftig mit dem Kopf.
» Das hätten sich die Eltern schon vorher überlegen müssen!«, sagt das Mädchen mit dem Pagenkopf streng.
Aber warum? In diesem Fall haben die Eltern ihren Kindern ja schließlich auch kein Versprechen gegeben.
» Ja, aber sie können sie trotzdem nicht weggeben. Das tut man einfach nicht, wenn man eine Mama oder ein Papa ist!«
Können wir also sagen, dass mit bestimmten Rollen auch bestimmte Pflichten auf uns zukommen? Wer ein Lehrer ist, ist verpflichtet, das zu tun, was von einem Lehrer erwartet wird. Und wer eine Mutter oder ein Vater ist und diese Rolle übernommen hat, muss sich als Mutter oder Vater verhalten, also seine Verantwortung gegenüber dem Kind wahrnehmen. (Mehr wissen)
Die Kinder nicken.
» Also, meine Klavierlehrerin, die muss ihre Rolle auch anständig spielen. Die kann mir nicht einfach Trompete oder so beibringen!«, sagt ein kleiner Junge mit blonden Locken.
» Genau! Und die Deutschlehrerin nicht einfach Russisch!«
» Und die Sportlehrerin nicht einfach Skifahren!«
» Schade eigentlich!«
Die Kinder lachen. Dann ist der Gong zu hören. Die Kinder haben genau eine Dreiviertelstunde philosophiert. Guter Laune verlassen sie den Raum und gehen in ihre Klassen. Im Gang gibt es eine Diskussion darüber, ob alle Räuber nachts wach liegen und ein schlechtes Gewissen haben oder nicht.
Freiheit und Verantwortung
Dieses Thema kann man so auffassen, dass die gesamte ethische Frage in ihm enthalten ist. Nicht nur Kinder sind mit der Problematik konfrontiert, manchmal etwas tun zu wollen, was sie nicht tun sollten oder nicht tun dürfen. Wir haben Wünsche, von denen wir meinen, dass wir sie nicht erfüllen sollten. Es
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