Der Sokrates-Club
darüber, was in der Stadt passiert?
» Der Bürgermeister!«, rufen die Kinder.
» Und der macht immer, wozu er gerade Lust hat«, sagt ein Mädchen in der ersten Reihe.
» Nein, der darf auch nicht alles machen, was er will. Da ist nämlich so ein Parlament oder so, und die dürfen auch mitbestimmen«, sagt der Junge mit dem schulterlangen Haar.
Das nennt man den Stadtrat, und diese Versammlung entscheidet am Ende darüber, was die Verwaltung tut. Aber wer wählt denn den Bürgermeister und die Stadträte?
» Unsere Eltern!«, ruft ein Junge aus der vierten Klasse.
Und wer gibt der Stadt das Geld, damit sie Straßen und Häuser und andere Dinge bauen kann?
» Wir. Und ich weiß auch warum!«, ruft derselbe Junge, » Weil die, die wählen, auch Steuern zahlen.«
So ganz stimmt das nicht. Viele Ausländer, die hier wohnen und Steuern zahlen, dürfen hier nicht wählen.
Die Kinder sind verwundert. » Warum denn nicht?«, fragen sie.
» Vielleicht wollen sie nicht, dass sie hier wählen und woanders auch wählen«, sagt ein Junge.
» Aber gerecht finde ich das nicht«, antwortet das Mädchen mit den großen blauen Augen.
» Also wenn ich Politikerin wäre«, sagt sie in einem entschiedenen Ton, » dann würde ich nie solche hässlichen Häuser bauen, und ich würde auch dafür sorgen, dass alle was zum Essen haben und ins Theater gehen können.«
Die Kinder stimmen ihr zu.
» Und ich würde immer Hitzefrei geben. Und im Winter Kältefrei!«, sagt der Junge mit dem Spiderman-T-Shirt. » Das wäre doch echt gerecht!«
Die Kinder lachen. Dann ist die Stunde um.
Der Engel draußen hat jetzt nur noch eine Mütze auf und sieht so aus, als sei er wieder ganz guter Laune. Er ist ein geduldiger Engel. Er weiß: Irgendwann kommen die Besitzer der Mützen und Schals. Spätestens dann, wenn es draußen schneit und ihnen kalt wird. Dann verlassen wir die Schule.
Gerechtigkeit
Die Frage nach der Gerechtigkeit ist eine der ältesten in der Philosophie. Für Platon, den großen Denker der griechischen Klassik, steht sie im Zentrum seiner wichtigsten Schrift, der Politeia. Auch der zeitgenössische Gerechtigkeitstheoretiker John Rawls, der mit seinem epochalem Werk Eine Theorie der Gerechtigkeit (1971) die philosophische Diskussion um diese Frage erneuerte, hält Gerechtigkeit für die oberste Tugend der Politik und der staatlichen Institutionen. Demnach wird eine demokratische Gesellschaft durch einen gemeinsamen Gerechtigkeitssinn zusammengehalten, der die unterschiedlichen kulturellen Herkünfte, die unterschiedlichen Lebensformen und Traditionen in der multikulturellen Demokratie vereint. Er prägte den Begriff des overlapping consensus, wonach es eine Übereinstimmung in den politischen, den öffentlichen Angelegenheiten geben muss, die mit den unterschiedlichen kulturellen und religiösen Werten und Normen in der Gesellschaft vereinbar ist.
Der entscheidende Unterschied zwischen antiken und modernen Gerechtigkeitstheorien liegt in der Rolle der Gleichheit. Man kann sagen, dass die politische Moderne mit zwei Postulaten, zwei grundlegenden Forderungen, beginnt: Die Freiheit und die Gleichheit aller Menschen. Eine gerechte Ordnung muss demnach jeder einzelnen Person gegenüber gerechtfertigt werden können, es gibt keine naturgegebene Herrschaft. Aber auch die modernen Theoretiker haben sich schwergetan, das Gleichheitspostulat zu Ende zu denken. Es hat lange gedauert, bis die Unrechtmäßigkeit der Sklaverei und der Unterdrückung der Frauen allgemein anerkannt wurde.
»Bei mir um die Ecke ist so ein Haus, das ist so hässlich und grün und gelb angemalt … das ist für Leute, die nicht so viel Geld haben. Aber das finde ich total ungerecht, dass sie in so hässlichen Häusern wohnen müssen.«
Demokratie und Gerechtigkeit
Die Politik und die Gesetzgebung konkretisieren immer wieder aufs Neue, was das Gleichheitspostulat für die Gerechtigkeit bedeutet. Viele dieser Konkretisierungen bleiben umstritten. Verlangt das Gleichheitspostulat eine gleiche Repräsentanz von Frauen und Männern in Spitzenpositionen, rechtfertigt es gar umgekehrte Diskriminierung? Hat die Politik die Aufgabe, unterschiedlichen Präferenzen und Lebensstilen von Frauen und Männern entgegenzuwirken, indem sie für eine gleiche Repräsentanz von Männern und Frauen in allen Berufen und Positionen sorgt? Ist es ungerecht, wenn bei Männern das berufliche Engagement mit zunehmender Kinderzahl wächst und bei Frauen zurückgeht? Ist es
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