Der Sokrates-Club
dann ist das nicht ungerecht, und zwar, weil der Löwe doch viel mehr braucht als ein Eichhörnchen.«
Bedürfnis- oder Ressourcengerechtigkeit
In der praktischen Philosophie der Gegenwart gibt es eine intensive Debatte um die Frage, ob sich Gerechtigkeit an den Bedürfnissen zu orientieren hat oder an ihren Ressourcen. Erst einmal scheint alles für Bedürfnisgerechtigkeit zu sprechen. Auch in dem Gespräch mit den Kindern kommt das zum Ausdruck, aber wie ist es mit der verwöhnten Dame, die unglücklich ist, wenn sie nicht jede Woche eine Flasche Dom Perignon Jahrgang ’71 zur Verfügung hat, oder mit einem Kind, das das zweite Fahrrad haben möchte oder eine weitere Playstation?
Aber auch wenn man Luxusbedürfnisse ausschließt, führt die Berücksichtigung der jeweils unterschiedlichen Bedürfnisse zu Ungerechtigkeiten. Schließlich möchte man keinen Anreiz geben, mit vorhandenen Mitteln verschwenderisch umzugehen. Bescheidene Menschen würden bei reiner Bedürfnisgerechtigkeit bestraft.
Für Ressourcengerechtigkeit spricht aber auch, dass sich das Recht und die Politik nicht in das Leben des Einzelnen einmischen sollen. Was die einzelnen Menschen jeweils aus ihren verfügbaren Mitteln machen, sollte diesen selbst überlassen bleiben. Um Bedürfnisse festzustellen, bedürfte es » gläserner Menschen«. Reine Ressourcengerechtigkeit allerdings würde uns wohl ebenfalls ungerecht erscheinen, insbesondere wenn die » Lotterie der Natur« Menschen benachteiligt, zum Beispiel in Form körperlicher oder geistiger Behinderungen. Es wäre ungerecht, diese nicht wenigstens teilweise auszugleichen, also auf die besonderen Bedürfnisse dieser Menschen Rücksicht zu nehmen.
»… da ist es doch sein Geburtstag, und da darf er einladen, wen er will.«
Universelle Gerechtigkeit
Eine schwierige Frage ist, inwieweit die Inklusion, die Einbeziehung und Beteiligung von Menschen, ein Gebot der Gerechtigkeit ist. Wir sind uns einig darin, dass manche Ausschließung ungerecht ist. Im Gespräch mit den Kindern gab es dafür einige Beispiele. Dennoch würden wir es zum Beispiel Vereinen zugestehen, dass sie selbst darüber entscheiden, ob sie zusätzliche Mitglieder aufnehmen, vielleicht obliegt es dem Vorstand, über die Aufnahme jedes einzelnen Mitglieds zu entscheiden, ohne dass dieser Rechenschaft darüber ablegen muss. Ja, es ist sogar ganz wesentlich für kulturelle und andere Gemeinschaften, dass sie selbst entscheiden können, wer dazugehört. Es ist kein Gebot der Gerechtigkeit, dass ich mich mit jedem Kind aus meiner Klasse anfreunde.
Der Kommunitarismus, eine jüngere Strömung aus den USA , dem zum Beispiel Alasdair MacIntyre und Michael Walzer angehören, betont, wie wichtig die Zugehörigkeit zu Gemeinschaften für die Moral ist. Er hat auf dieses Spannungsverhältnis zwischen Gerechtigkeit und Gemeinschaft hingewiesen. Es kommt also auf die Kriterien an, nach denen ausgeschlossen wird, sind diese diskriminierend oder nicht, und es kommt auf die Art der Gemeinschaft an, in der eventuell niemand ein Recht auf Freundschaft hat. Gemeinschaften beziehen ihre Identität aus einer geteilten Praxis, die sie von anderen Gemeinschaften unterscheidet.
Die Frage ist, wie groß der Spielraum unterschiedlicher Gemeinschaftsidentitäten ist. Ab wann verletzen kulturelle Praktiken universelle Rechte, zum Beispiel das der Gleichberechtigung von Mann und Frau? Unterschiedliche Kleidungsgewohnheiten sind mit Gleichberechtigung vereinbar. Ob Kopftuch, Schleier oder gar Burka als Kleidungsvorschrift für Frauen mit Gleichberechtigung vereinbar ist, ist zumindest umstritten. Gebieten es der Respekt gegenüber unterschiedlichen kulturellen Prägungen und die Gleichbehandlung verschiedener Religionsgemeinschaften, dem erhöhten Schamgefühl muslimischer Mädchen dadurch Rechnung zu tragen, dass diese vom gemeinsamen Sportunterricht mit Jungen befreit sind? Oder verbietet die Erziehung zur Gleichberechtigung eine solche Sonderbehandlung?
»… ob jemand braune oder blonde Haare hat, das sagt doch gar nichts darüber aus, wie man als Mensch ist!«
Vernunft und Gerechtigkeit
Die Verkoppelung von Freiheit und Gleichheit ist in dem Sinne eine humanistische, als dem Menschen zuerkannt und zugemutet wird, dass er sich von Gründen leiten lässt– theoretischen Gründen für Überzeugungen und praktischen Gründen für Handlungen, ja, darüber hinaus erwarten wir, dass auch unsere moralischen Gefühle von Gründen geleitet sind. Diese
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