Der Sokrates-Club

Titel: Der Sokrates-Club Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Weidenfeld , Julian Nida-Ruemelin

Vom Netzwerk:

besondere Fähigkeit, sich von Gründen leiten zu lassen, macht die spezifische Würde von Menschen aus, und die angemessene normative Haltung ist die des gleichen Respekts, der gleichen Freiheit.
    Die Gleichheit vor dem Gesetz ist nur ein Aspekt dieser fundamentalen Norm. Jede staatliche Verteilungsinstanz, die ohne Grund ungleich verteilt, verletzt die Selbstachtung Einzelner. Sofern der Staat oder auch Unternehmen – oder Instanzen des dritten Sektors – Ressourcen, Wohlfahrt, Chancen oder anderes verteilen, haben sie diese gleich zu verteilen. Nicht, weil die Gleichverteilung besser ist, sondern weil jedes einzelne Individuum gleichen Respekt verdient. Dieser Universalismus ist unverzichtbar, um Menschlichkeit politisch, wirtschaftlich und sozial zu realisieren.

6. Menschlichkeit oder: Warum Menschen mehr sind als nur Zweibeiner ohne Federn
    Wir sind erneut in der Gebeleschule. Es ist mitten im Winter, und der Engel hat diesmal eine blaue Mütze auf und mindestens drei bunte Schals um seinen Hals gewickelt. Die Kinder sind bereits in dem Raum, der sich » Weltenwunderland« nennt, und warten auf uns. Wir kommen herein, und die Kinder begrüßen uns freundlich.
    Heute wollen wir uns über das Thema » Menschlichkeit« unterhalten. Was würdet ihr sagen, ist überhaupt mit dem Wort » menschlich« gemeint?
    » Also, wenn mein Bruder mir meinen Powerball klaut, dann ist das echt unmenschlich!«, sagt ein großer blonder Junge mit einer langen Strähne im Haar.
    Die anderen Kinder lachen.
    » Oder wenn man Spaghetti nur mit dem Löffel isst und sich die Hände nachher am Tischtuch abputzt!«, wirft sein Nachbar sein.
    » Das ist auch echt unmenschlich!«
    » Unmenschlich ist aber auch, wenn jemand aus dem Sheraton-Hochhaus springen und wie ein Adler fliegen würde!«, sagt ein kleines Mädchen mit kurzen braunen Haaren.
    » Das wär aber vor allem dumm!«, ruft ein Mädchen.
    » Oder wenn jemand sagt, er hat ein Buch mit tausend Seiten gelesen, das geht nämlich gar nicht!«, erklärt ein kleiner Junge mit braunen Locken.
    Das blonde Mädchen mit den großen blauen Augen dreht sich zu dem Jungen um und sagt: » Es gibt aber so dicke Bücher, und die kann man schon lesen!«
    » Also ich finde Mörder-Sein unmenschlich!«, meint ein Mädchen in einem lila Pulli.
    Dann frage ich jetzt einmal umgekehrt. Was ist denn menschlich?
    » Da gibt es doch diesen Spruch › Irren ist menschlich‹?«, sagt ein kleines Mädchen in der ersten Reihe zaghaft.
    » Jeder, der halt normal ist, der ist menschlich!«, sagt ein Junge in der ersten Reihe entschieden.
    Was ist mit einem Spitzensportler? Einer, der allen davonläuft oder höher springt als alle anderen Menschen auf der Welt, der macht doch auch Dinge, die nicht ganz normal sind. Ist der dann unmenschlich?
    Die Kinder denken nach.
    » Na ja, das ist eben seine Gabe, das kann er halt nur so gut!«, meldet sich ein Junge mit einem Käppi.
    » Genau, und jeder hat ja eine Gabe!«, bestätigt seine Nachbarin.
    Was ist menschlich? Wir hatten den Vorschlag, das mit » normal« zu erklären, aber da hatten wir das Problem mit dem Spitzensportler. Wer hat einen Vorschlag: Was ist also menschlich?
    » Vielleicht etwas, was alle Menschen gemeinsam haben?«, schlägt ein Mädchen vor.
    Zum Beispiel?
    » Lesen!«, » Essen!«, » Pippi machen!«, werfen die Kinder ein und kichern
    Das tun aber Elefanten auch!
    » Denken!«, schlägt ein Junge in einem schwarzen T-Shirt vor. » Und sprechen!«, fügt er noch hinzu.
    » Aber Tiere sprechen doch auch«, sagt ein Mädchen in einem weißen Glitzer-T-Shirt.
    Was meint ihr, können Tiere sprechen? Wer meint Ja? Wer meint Nein?
    Die Kinder stimmen ab. Eine Mehrheit meint Ja.
    » Also, die Tiere unterhalten sich doch!«, sagt ein Junge.
    Habt ihr ein Beispiel?
    » Die Tiger haben ihre Tigersprache und die Affen die Affensprache, und die Delfine, die sprechen auch!«, erklärt ein Mädchen mit dünnen braunen Haaren, » Und zwar mit so hohen Tönen!«, fügt sie hinzu.
    Bienenforscher haben herausgefunden, dass Bienen sich untereinander zeigen, wo besonders schöne Blüten zu finden sind. Wenn sie in einer bestimmten Frequenz und Richtung fliegen, heißt das zum Beispiel rechts entlang, und wenn sie in einer anderen Frequenz fliegen: links entlang. Kann man jetzt sagen, dass sie sich miteinander unterhalten?
    » Na ja, verstehen tun die sich schon …«, sagt ein Junge zaghaft.
    » Die Papageien, die sprechen schon die Menschensprache«, sagt