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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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soll ich jetzt vorbeikommen und dir bei der Suche nach diesem verdammten Schlüssel helfen? Du fragst jemanden mit einem Vollzeitjob und einer Familie, um die er sich kümmern muss, aber meine Schwester, die das alles nicht hat, fragst du nicht, denn sie hat natürlich so viel um die Ohren.«
    Viel um die Ohren, er hasst diesen Ausdruck, trotzdem fällt er zwischen Aoife und ihm des Öfteren – als Witz. Doch eigentlich ist diese permanente Nachsicht mit Monica, diese ewige Bevorzugung des Mittelkinds durch ihre Mutter gar nicht witzig, sondern ein Ärgernis, mit dem endlich Schluss sein sollte.
    Er hört, wie seine Mutter Luft holt, dann herrscht einen Moment lang Pause. Wie geht es jetzt weiter? Wird sie zurückstänkern, denn sie teilt ebenso gut aus, wie sie einstecken kann, das wissen sie beide nur zu gut. »Nun ja …«, sagt sie verunsichert, und er weiß, dass sie jetzt die Mitleidskarte spielt. »Ich dachte, dass ich mich wenigstens auf dich verlassen kann. Und dass ich mich an dich wenden kann, wenn ich auch mal Hilfe brauche …«
    »Mum …«
    »Ich meine, er ist jetzt schon elf Stunden weg, und ich weiß gar nicht, was ich tun soll …«
    Er zieht ein Gesicht und drückt den Hörer fester ans Ohr. Das ist auch so ein Kennzeichen dieser Telefongespräche mit seiner Mutter: Sie ist außerstande, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Bei ihr ist immer alles gleich wichtig. Ein verlegter Schlüssel liegt gleichauf mit einem verschwundenen Ehemann.
    »Was sagst du da, Dad ist seit elf Stunden weg?«
    »Ich meine, das hat er noch nie gemacht, und jetzt weiß ich nicht, wer mir noch helfen kann, wo Monica doch so viel um die Ohren hat. Deshalb dachte ich …«
    »Moment mal, du hast Monica gesagt, dass Dad verschwunden ist?«
    Pause. »Ja«, sagt seine Mutter zögernd. »Ich glaube, ja.«
    »Oder hast du ihr nur gesagt, dass du den Schlüssel vom Schuppen verlegt hast?«
    »Michael Francis, warum hörst du mir nicht zu? Ich weiß doch, wo der Schlüssel ist. Der Schlüssel ist am Schlüsselbund von deinem Vater, und das heißt: Wenn er weg ist, dann ist auch der Schlüssel weg und …«
    »Okay.« Von hier an muss er die Sache wohl übernehmen. »Pass auf, wir machen Folgendes: Du wartest am Telefon, und ich rufe Monica an und melde mich danach wieder bei dir, etwa in zehn Minuten. Sollen wir es so machen?«
    »Gut, Schatz. Ich warte.«
    »Genau. Du wartest.«

Gloucestershire
    F ür Monica fing alles mit der Katze an. Noch Jahre später hing das Verschwinden ihres Vaters mit dem Tod ihrer Katze zusammen.
    Dabei mochte sie diese Katze nicht einmal, hatte sie noch nie gemocht. Peters Töchter hingegen liebten sie, waren mit ihr aufgewachsen. Wenn sie am Freitagabend kamen, nachdem sie Peter von ihrer Mutter abgeholt hatte, war nicht einmal Zeit, die Klamotten an die Garderobe zu hängen, sondern sie schwärmten mit viel Geschrei sofort aus, um dieses Tier zu suchen. Und wenn sie es gefunden hatten, entweder zusammengerollt auf dem Sofa oder faul vor dem Küchenherd dösend, wurde geherzt und geknuddelt, was das Zeug hielt. Immer wieder sagten sie ihren Namen, vergruben die Gesichter in der weichen Flanke und spielten mit den samtweichen, dreieckigen Ohren.
    Stundenlang konnten sie sich mit der Katze unterhalten, bauten ihr prächtige Häuser aus Zeitungspapier. Das Biest durfte sogar bei ihnen im Bett schlafen, Peter erlaubte ja alles. Sie trugen die Katze umher wie eine pelzige Handtasche, zogen ihr Puppenkleider an und fuhren sie im Garten spazieren, in einem alten, quietschenden Kinderwagen, den sie im Schuppen gefunden hatten. Monica hatte gar nicht gewusst, dass dort dieser Kinderwagen war, denn sie mied diesen dunklen Spinnwebort voll rostigen Gerümpels, aber die Kinder entdeckten ihn schließlich. Wie so oft hatte sie sie vom Küchenfenster aus beobachtet, als sie dieses alte Ding aus dem Schuppen zerrten und ihr damit das unschöne Gefühl vermittelten, sich nicht einmal in ihrem eigenen Haus richtig auszukennen.
    Sie hatte das Thema sogar einmal angesprochen, ganz locker und unverkrampft, wie sie meinte, einmal beim Plätzchenbacken. Oder war es ganz anders? War es so, dass sie wie eine Irre diese Katzen-Plätzchen ausstach, um nicht mit ansehen zu müssen, wie die Kinder mit verschränkten Ar men am Küchentisch saßen und sie böse fixierten. Die Plätzchen-Ausstecher hatte sie extra für sie gekauft. Monica war ja nicht einmal in der Lage gewesen, einen sauberen Ofenhandschuh aufzutreiben, nachdem

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