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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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sollten ihrem Leiden ein Ende setzen«, sagte der Tierarzt mit jenem gefühlvollen Tonfall, der Monica nicht gefiel.
    »Ende setzen?«
    Der Tierarzt stockte, musterte sie. »Wir sollten sie einschläfern.«
    »Einschläfern?« Monica vermochte die Worte nicht in einen vernünftigen Zusammenhang zu bringen. Was sagte der Arzt da von Schlaf und Schmerz und Loslassen? In der Praxis war es anscheinend noch heißer als draußen. Schweiß sammelte sich an ihrem Haaransatz, an der Oberlippe und auch am Bund ihres Rocks. Sie fürchtete, wenn sie jetzt die Arme hob, würde der Tierarzt, ein Mann in ihrem Alter und nicht unattraktiv, die dunklen Schweißflecken sehen. Die Katze lag wie ein pelziger Klumpen zwischen ihnen auf dem Behandlungstisch.
    »Mrs Proctor, Ihre Katze ist schwer verletzt, sehr schwer verletzt …«
    Monica war so erschrocken, dass sie sogar aufhörte sich mit dem Taschentuch die Stirn abzutupfen. »Sie meinen, Sie müssen sie töten? Aber Sie sind doch Arzt, Sie müssen sie gesund machen, das ist doch Ihre … Meine Stieftöchter, sie … was werden sie … Können Sie denn gar nichts tun? Bitte!«
    »Hmmm …« Der Arzt zauderte und wich von seinem üblichen Text ab. »Ich versichere Ihnen, es geht ganz schnell, es tut nicht weh, es ist eine sehr sanfte Methode«, sagte er. »Manche Leute wollen sogar dabei sein, wenn es geschieht.«
    Monica blickte auf die Katze, die ganz furchtbar mit den Vorderpfoten krabbelte, so, als wolle sie in den Karton zurück. Dabei hatte sie sich erst so dagegen gewehrt, mit verzweifelten, froschartigen Bewegungen. Und jetzt wollte sie sich nur noch in den Karton verkriechen? Ahnte sie vielleicht etwas? Wusste sie, dass soeben über ihren Tod verhandelt wurde? Nein, schien die Katze zu sagen, noch nicht, nicht jetzt, ich wollte doch noch so viel machen. Monica dachte plötzlich an Aoife und wie sehr sie geweint hatte, als ihre Katze starb. Ihre aufgescheuerten Knie über den Schulsocken, als sie so im Garten stand. Der kleine Körper in ihren Armen, eingeschlagen in ein altes Handtuch. Ihr Vater, der das Loch grub. Mach es lieber etwas tiefer, Robert, hatte ihre Mutter geflüstert und Aoife an ihre Schürze gedrückt. Ihre Zeit war eben gekommen, sagte sie zu Aoife, und dagegen können wir nichts tun. Aber Aoife weinte und weinte und konnte gar nicht mehr aufhören. Ein kränkliches Ding war es gewesen, dieses Kätzchen, von Anfang an, doch Aoife weinte in einem fort.
    Monica legte der Katze die Hände auf den Rücken, sie konnte jeden einzelnen Wirbel spüren und die kleinen dreieckigen Schulterblätter. Einmal mehr war sie verwundert, wie zerbrechlich sich diese Knochen anfühlten. Äußerlich wirkte so eine Katze ja wie ein einigermaßen robustes Wesen, doch wenn man es in die Hand nahm, besaß sie ein fragiles Vo gelgerippe, fast wie gar nicht vorhanden. Aber erstaunlich warm. Die Katze schnurrte jetzt und rieb ihr Katzengesicht an Monicas Fingern, was sie vorher noch nie zugelassen hatte. Dann sah sie Monica sogar an, beruhigt und voller Vertrauen. Solange du da bist, schien sie zu sagen, wird noch alles gut. Monica konnte die Augen nicht von dieser Katze nehmen, wollte den Bann nicht mehr brechen, auch wenn sie wusste, dass der Tierarzt im Hintergrund die Spritze aufzog und die tückische Kanüle anschließend unter ihr weiches Fell schob. Sie wusste, was jetzt geschah, schaute aber weiter nur diese Katze an, sprach sogar mit ihr. Die Katze schnurrte, als Monica über das Fischgrätmuster am Rücken streichelte. Und dann sah es plötzlich so aus, als sei der Katze etwas eingefallen, irgendetwas Wichtiges, und Monica fragte sich noch, was es wohl sein könnte, worüber denken Katzen so nach? Erst dann fiel ihr auf, dass der Katzenkopf schlapp in ihrer Hand lag, dass die Augen nicht mehr auf sie gerichtet waren, sondern auf irgendetwas neben ihr oder hinter ihr, etwas, das rasch näher kam, etwas Böses, das sie nicht kannte.
    »Oh«, entfuhr es ihr, und gleichzeitig sagte der Arzt: »Das war’s.«
    Erschreckend an allem war die Schnelligkeit. Wie leicht dieser Übergang von Leben zu Tod vonstattengegangen war. Einen Moment war sie noch da, im nächsten schon nicht mehr. Nur mit Mühe widerstand Monica der Versuchung, im Zimmer nach ihr Ausschau zu halten. Wohin war die Katze entschwunden? Sie musste doch irgendwo sein, weg war nicht akzeptabel.
    Abermals kam ihr Aoife in den Sinn. Erwachsen inzwischen, schon lange nicht mehr in Schulsocken. Damals im Krankenhaus. Aoife

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