Der Sommer auf Usedom
da eine Mischung aus Baldrian, Passionsblume und Melisse. Das ist jetzt genau das Richtige für dich.«
»Du hältst mich für überdreht, aber ich schwöre dir, auf eurer angeblich so friedlichen Insel treibt jemand sein Unwesen.«
»Da könntest du recht haben«, rief Gabi aus der Küche. »In der Zeitung steht heute, dass der Kunstdieb schon wieder zugeschlagen hat, der Galeristen und private Sammler seit Wochen in Angst und Schrecken versetzt.«
Jasmin hörte ihr nicht zu. »Das war’s«, murmelte sie vor sich hin. »Schluss mit der Lauferei durch den Wald. Lieber bin ich rund wie ein Goldhamster als mausetot!«
Gabi kam zurück. »Vorschlag: Du gehst erst mal duschen, dann trinkst du einen Tee, und danach ist es Zeit für meine Mittagspause. Was hältst du davon, wenn wir nach Heringsdorf fahren?«
Zwei Stunden später saßen die beiden Frauen in einem Lokal des beliebten Ferienorts, von dem sie einen schönen Blick auf die Seebrücke hatten. Der Strand war voller Menschen, die Ball spielten, mit ihren Kindern im Sand buddelten oder einfach nur in der Sonne lagen. Im Wasser war noch nicht viel los, die Ostsee war im Juni noch ziemlich frisch.
»Ich nehme nur ein Glas Wasser«, verkündete Jasmin und erntete einen erschöpften Blick ihrer Freundin. »Na schön, vielleicht esse ich doch einen kleinen Salat dazu.« Sie wandte sichan die Kellnerin. »Den mit Thunfisch und dreierlei Käse, bitte.« Den Schreck des Vormittags hatte sie vergessen und strahlte ihre beste Freundin überglücklich an. »Ich freue mich so, dass ich hier bin!«
»Ich freue mich auch.«
Sie schwiegen und hingen eine Weile ihren Gedanken nach.
Dann fasste Jasmin sich ein Herz. »Nun erzähl mal, wie hast du dich auf der Insel eingelebt?«, fragte sie, obwohl Gabi bereits seit drei Jahren hier wohnte und sie am Telefon und bei ihren früheren Treffen schon viel über die Umstellung, von Berlin nach Usedom zu ziehen, gesprochen hatten. Was sie wirklich wissen wollte, war, wie es Gabi seit dem Tod ihres Mannes ging. Die beiden waren für Jasmin ein Bilderbuch-Paar gewesen. Gabi hatte sich Thorsten mit vierzehn Jahren in den Kopf gesetzt und zehn Jahre später geheiratet. Sie hatten beide Architektur studiert, hatten dieselben Dinge geliebt und dieselben nicht leiden können. Als Thorsten vor etwas über vier Jahren plötzlich schwer krank wurde und dann so schnell starb, dass die beiden nicht einmal die Chance hatten, sich diesem Schicksal einigermaßen gefasst zu stellen, war auch Gabis Leben beendet gewesen. Jedenfalls ihr altes vertrautes Leben, das genauso war, wie sie es haben wollte. Sie musste ein neues beginnen, so viel stand fest. Darum der Ortswechsel, der Umzug auf die Insel.
»Toll! Stell dir vor, ich habe ein schönes altes Haus in toller Lage gefunden. Die Nachbarn sind nett, und ich habe herausgekriegt, dass Usedom kulturell einiges zu bieten hat. Gut, es ist nicht Berlin, aber nicht so übel, wie man denken könnte.«
»Sehr witzig, das weiß ich doch längst.«
»Warum fragst du dann?« Gabi schob sich die Brille mit den halbrunden Gläsern ins kurze volle Haar, das vor vier Jahren noch kastanienbraun gewesen war. Jetzt überwog der Grau-Anteil deutlich, obwohl sie nur zehn Jahre älter als Jasmin war.
»Ich meine, hast du jemanden kennengelernt?«
»Ich lerne laufend Leute kennen. Ich bin Architektin.«
»Du weißt schon, Männer …«
Da waren sie also wieder an ihrem wunden Punkt angekommen. Nicht, dass sie darüber jemals gestritten hätten, aber es war so ein Thema, wie es wohl in jeder Freundschaft vorkam. Der eine wollte es immer wieder ansprechen, wenn er auch nie so recht wusste, wie am besten. Der andere wollte es am liebsten für immer auf sich beruhen lassen. Jasmin war der Ansicht, dass Gabi mit ihren Anfang vierzig noch zu jung war, um den Rest ihres Lebens allein zu verbringen. Sie sah durchaus ein, dass es Zeit brauchte, den Verlust zu verarbeiten und für einen neuen Partner bereit zu sein, doch meinte sie, irgendwann sollte dieser Punkt erreicht sein. Also fragte sie jedes Mal beharrlich nach, wenn sie auch wusste, dass Gabi dieses Thema nicht leiden konnte. Die war nämlich davon überzeugt, dass sie und Thorsten nach ihrem Tod wieder zusammen sein würden. Da war es doch schier undenkbar, zwischenzeitlich einen anderen zu haben! Es wäre ja mehr als blöd, wenn die beiden Männer irgendwann einmal aufeinandertreffen und beide Besitzansprüche stellen würden. Da wäre gleich dicke Luft im
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