Der Sommer deines Todes
geschlossen.»
Beim Landen spielt mein Gleichgewichtssinn verrückt. Ein Windstoß erfasst den Hubschrauber. Neben mir schließt Mary die Augen und krallt sich an ihrem Sitz fest. Fremont und Dathi halten die Luft an und starren aus dem Fenster, während wir so schnell an Höhe verlieren, dass es einem vorkommt, als rase einem die Erde entgegen. Die Landung auf dem steinigen Gelände verläuft alles andere als sacht. Die Hubschrauberrotoren wirbeln vertrocknete Grashalme und Steine auf, ehe sie stillstehen und der Kopilot die Tür aufstößt.
Guy de Luca springt als Erster nach draußen. Mac, Fremont und Dathi folgen seinem Beispiel. Dass die Teenager uns auf dieser Mission begleiten, behagt mir gar nicht, aber nachdem es uns so viel Mühe gekostet hat, sie zu finden, sind wir nicht gewillt, sie auch nur für einen Moment wieder aus den Augen zu lassen. Ich helfe Mary beim Aussteigen.
Capo Caccia ist ein atemberaubendes und furchteinflößendes Stück Land, auf drei Seiten vom Meer umspült. Das Ende der Welt. Wir stehen in der unbarmherzigen Sonne und stemmen uns gegen den Wind, der aus allen Richtungen bläst.
«Wie es aussieht, sind wir die Ersten», meint Guy.
«Nun, ich werde bestimmt nicht auf Verstärkung warten.» Entschlossen hält Mac auf den Leuchtturm zu. Guy folgt ihm.
Mary, die es trotz der Hitze fröstelt, stellt sich neben mich. Dass sie fix und fertig ist, ist nicht zu übersehen. «Warum bleibst du nicht bei Free und Dathi», schlage ich vor, «und ihr behaltet euch gegenseitig im Auge, während wir uns im Leuchtturm umsehen?»
«Gute Idee», findet Fremont. «Wir passen auf sie auf.»
«So machen wir’s», pflichtet Dathi ihm bei.
«Mir geht es gut. Ich möchte mich nützlich machen», entgegnet Mary mit brüchiger Stimme.
«Das tust du doch.» Ich gebe ihr einen Kuss auf die Wange. «Bleib hier bei den Kindern.»
Ich renne Mac und Guy hinterher, was sich auf dem steinigen Gelände nicht ganz einfach gestaltet. Auf der Suche nach einer Tür oder einem Fenster laufen die beiden Männer um den Leuchtturm. Ich hole Mac ein und warte, während er mit aller Gewalt versucht, ein Fenster zu öffnen, dessen morscher Rahmen sich verzogen hat. Farbe platzt ab, Holzsplitter lösen sich, als wäre das Fenster seit Jahren nicht mehr geöffnet worden.
«Guy!», rufe ich. «Hier geht’s rein.»
Mac klettert auf den Fenstersims, hält kurz inne, wirft einen Blick in den Raum und springt hinein. Ich folge seinem Beispiel, stütze mich mit den Armen auf dem Sims ab und lande ungeschickt auf allen vieren in einem leeren, muffig riechenden Zimmer. Mein Aufprall löst ein Echo aus. Auf einmal tut mir jeder Knochen im Leib weh. Der deutlich jüngere Guy stellt sich besser an und landet elegant auf den Füßen.
«Teilen wir uns auf, oder bleiben wir zusammen?», fragt Mac.
«Allein kommen wir schneller voran», gebe ich zu bedenken.
«Wenn wir zusammenbleiben, ist das Risiko geringer», meint Guy. «Ist einer von Ihnen bewaffnet?»
«Nein», antwortet Mac für uns beide.
«Dann gehe ich voran», sagt er und zieht seine Waffe aus dem Schulterholster.
Im Erdgeschoss gibt es drei Räume: den, in dem wir gelandet sind, eine karge Küche und ein Wohnzimmer mit einem Kartentisch und drei wackeligen Klappstühlen. In der nächsten Etage befinden sich zwei mönchische Schlafzimmer, jeweils mit einem schmalen Bett, und ein Badezimmer, wo in der Mitte des Bodens eine ganze Fliesenreihe fehlt. Der Duschvorhang vor der nur zu Hälfte sichtbaren, an mehreren Stellen gesprungenen Badewanne ist von Schimmel überzogen. In der Wanne entdecke ich ein kleines grünes Plastikboot, wie man es in jedem gewöhnlichen Supermarkt kaufen kann. Mir bricht der kalte Schweiß aus.
Als ich mich nach unten beuge, um danach zu greifen, steigt mir Seifenduft in die Nase. Unter dem Boot klebt das Preisschild. «Das Ding ist noch nass.»
«Zieh bitte keine voreiligen Schlüsse», warnt mich Mac.
Guys wohlwollender Blick beflügelt meine Phantasie. Ich male mir aus, wie Ben – womöglich erst vor kurzem – in dieser ekelhaften Wanne gesessen hat, denke schnell an etwas anderes und stecke das Boot in meine Tasche.
Dafür, dass Ben hier gewesen ist, finden sich keine weiteren Anzeichen. Mit klopfendem Herzen und dröhnenden Kopfschmerzen beuge ich mich über das vollkommen verschmutzte Handwaschbecken, werfe ein paar Tabletten ein, drehe den Hahn auf und spüle die Pillen mit Wasser hinunter. Danach durchsuchen wir jeden
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