Der Sommer deines Todes
zu schnell gefahren. Mac wiederum sieht zu Karin hinüber, die grinst und fröhlich winkt.
«Ein Tässchen Tee?», ruft Karin. Mac glaubt zwar nicht, dass die Frau Karins spöttischen Kommentar gehört hat, doch ihre Miene verfinstert sich, ehe sie den Blick wieder nach vorn richtet. Mac schaltet die Musik aus. Im Mietwagen macht sich Schweigen breit. Nach einer kleinen Weile legt Karin die Stirn auf das Lenkrad und murmelt: «Ähm … tut mir leid.»
«Uhu.»
Da sich die Autos und Lieferwagen vor ihnen nicht von der Stelle rühren, kommt es ihnen so vor, als stünden sie nicht im Stau, sondern auf einem Parkplatz. Ein paar Leute stehen auf der Straße und unterhalten sich ganz entspannt. Ein Pärchen hat sich am Straßenrand niedergelassen und verzehrt Sandwiches, die Türen ihres Wagens stehen offen. Ein Mann in einem braunen Zopfmusterpulli und mit einer karierten Mütze läuft die Autoschlange ab und steckt den Kopf in jedes Fenster. Offenbar weiß er, was passiert ist, und informiert nun seine Leidensgenossen. Hinter ihnen legt das nächste Auto eine Vollbremsung hin.
«Bin gleich wieder da.» Blitzschnell löst Karin den Sicherheitsgurt, öffnet die Tür und steigt aus.
«Warte doch.» Wieso sie diesem Mann, der schon auf dem Weg zu ihnen ist, entgegengehen muss, ist Mac ein Rätsel.
Sie tut so, als hätte sie ihn nicht gehört, und läuft davon. Verdattert schaut Mac seiner dünnen, großen Frau hinterher. Sie hat ihre graublonden Haare, deren Tönung sich langsam auswäscht, zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden, der auf der Kapuze ihrer Fleecejacke liegt. In den engen Jeans wirken ihre Beine noch länger. Der Schnürsenkel ihres linken Turnschuhs ist aufgegangen.
Er hofft inständig, dass sie nicht vor dem Wagenfenster der alten Dame stehen bleibt und eine freche Bemerkung macht. Aber nein. Sie steuert schnurstracks auf das Fahrzeug zu. Der Mann, der die Straße abgeht, spricht drei Wagen weiter vorn mit dem Fahrer. Mac beobachtet, wie die grauhaarige Frau den Kopf dreht, als Karin sie anspricht. Die Frau erwidert etwas. Ihm kommt es vor, als dauere das Gespräch mehrere Minuten, obwohl der Wortwechsel wahrscheinlich nur ein paar Sekunden in Anspruch nimmt. Mac wird zunehmend nervöser und kriegt sich erst wieder ein, als die alte Dame schmunzelt. Schließlich brechen die beiden Frauen in fröhliches Gelächter aus, Karin richtet sich wieder auf, wechselt noch ein paar Worte mit dem Mann der Frau und kehrt dann zum Mietwagen zurück, um Mac Bericht zu erstatten.
«Wie es aussieht, hängt ein Stück weiter vorn ein Wohnwagen fest. Seit einer halben Stunde ist die Straße blockiert.»
«Wie bitte? Irgendein Idiot ist auf die glorreiche Idee gekommen, mit seinem Wohnmobil The Struggle abzufahren?»
«Du sagst es.»
Mac winkt den Mann vorbei, der den Fahrer im Wagen hinter ihnen informiert, der daraufhin umdreht und in die Richtung fährt, aus der er gekommen ist.
«Keine gute Idee», findet Mac. «Hmm … Seit einer halben Stunde hat sich hier gar nichts bewegt?»
«Und es sieht nicht so aus, als ob sich das bald ändert.» Karin legt den Rückwärtsgang ein, stößt nach hinten und macht kehrt. «Ist vielleicht unsere letzte Chance, hier wegzukommen. Soweit ich mich entsinne, gibt es ein Stück weiter hinten eine Abzweigung.»
Mac, der sich voll und ganz darauf konzentriert hat, am Leben zu bleiben, ist nichts dergleichen aufgefallen. Dass sie jetzt als Geisterfahrer diese heimtückische Straße hinunterpreschen, behagt ihm gar nicht. Am liebsten würde er die Augen schließen und der Dinge harren, die da kommen, aber das bringt er nicht übers Herz. Stattdessen zwingt er sich, den Blick nach vorn zu richten, als könnte er trotz dieser impulsiven, ungeübten Fahrerin, die seine Frau ist, für ihre Sicherheit garantieren, solange er sich mit aller Macht auf die Straße konzentriert. Seine Augen wandern zwischen der Straße und ihrem Profil hin und her. An diesem grauen, nebelverhangenen Tag wirken die hellblauen Augen in ihrem schmalen, beinah hageren Gesicht wesentlich dunkler.
Zuerst hören sie Motorgeräusche, dann sehen sie, wie ihnen ein Lastwagen entgegenkommt.
«Scheiße», murmelt Karin.
Da ist die Abzweigung – gleich da vorn
, liegt Mac auf der Zunge, aber ehe ihm die Worte über die Lippen kommen, dreht Karin scharf nach rechts ab und biegt auf eine unbefestigte Straße, die durch ein Maisfeld führt. Der Lastwagen saust an ihnen vorbei. Wenig später hören sie es in
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