Der Sommer deines Todes
unbeleuchteten Straßen führen sie durch schlafende Dörfer, wo es kurz hell wird, bevor sie wieder von der trauten Dunkelheit verschluckt werden. Da der Nebel die Windschutzscheibe benetzt, schaltet Mac kurz die Scheibenwischer ein, um überhaupt etwas sehen zu können. Kaum hat er sie ausgeschaltet, kehrt wieder absolute Ruhe ein. Karin, die neben ihm sitzt, ist anscheinend auch in diesem seltsamen Zustand aus Beseeltheit, Erschöpfung, Freude und Desorientierung, den man Jetlag nennt. Hin und wieder holt sie ihr Blackberry aus ihrer Handtasche, drückt Marys Kurzwahltaste, lauscht und legt auf. Wann immer sie das tut, zuckt Mac innerlich zusammen. Wieso er so reagiert, kann er sich nicht erklären. Macht er sich Sorgen wegen Mary und der Kinder? Oder irritiert ihn einfach, wie sehr sich Karin von diesem Kommunikationsfiasko aus der Ruhe bringen lässt? Ihnen bleiben nur zwei Tage, achtundvierzig Stunden (romantischer) Zweisamkeit, ehe sie wieder zu ihrer Familie stoßen.
Schließlich erreichen sie den Marktplatz von Penrith, wo eine Handvoll Restaurants der ansonsten verschlafenen Stadt etwas Leben einhaucht, und fahren in die Portland Place. Ihr Bed and Breakfast liegt am Ende der Straße. Es ist das letzte einer ganzen Reihe altmodischer Backsteinhäuser, die dazu beigetragen haben, dass das Örtchen so beliebt bei Touristen ist, die erst hier in Cumbria Urlaub machen und anschließend weiter nach Norden Richtung Schottland reisen.
Als Karin aus dem Wagen steigt, gähnt und schnell die Hand auf den Mund legt, merkt Mac zu seiner Überraschung, dass er ganz kribbelig wird.
Später – sie liegen in dem durch und durch in Beigetönen gehaltenen Zimmer auf dem großen Bett, haben die Laken zerwühlt und die Decken zu Boden geworfen – greift sie nach ihrem auf dem Nachttisch liegenden Blackberry, und dann geht dieses unsägliche Spiel wieder von vorn los.
Das Anrufen.
Das Nichterreichen.
Im Geist geht er noch einmal den heutigen Tag durch, dann den vorigen Tag, dann den Tag davor und schließlich die ganze letzte Woche.
Sonntag: totale Hektik, um ja noch rechtzeitig zum Flughafen zu gelangen. Gestern: ihr erster Urlaubstag in Cumbria. Landung in Heathrow, laute Verabschiedung von Mary, die die drei Kinder zu dem Terminal scheucht, von wo aus der Flieger nach Mailand startet.
Morgen: London.
Donnerstag: Sardinien.
Mit einem versonnenen Schmunzeln freut er sich darüber, wie schnell er den Millerhausen-Fall hinter sich lassen konnte. Karin liegt mit geschlossenen Augen neben ihm, doch er glaubt nicht, dass sie schläft. Er fragt sich, ob ihre Haut immer noch so kühl und feucht ist wie vor einer Viertelstunde, und streicht mit der Hand über ihren Arm. Jetzt fühlt sie sich kühl und trocken an.
Sie zuckt zusammen.
«Entschuldige», flüstert er.
Sie gähnt und dreht sich mit immer noch geschlossenen Augen zu ihm um.
Mittwoch, 11. Juli
Am Morgen serviert man ihnen in dem bunten, von Spitzen übersäten Speisesaal ein richtiges englisches Frühstück mit gebratenen Eiern, Würstchen, Pilzen, Bohnen, Tomaten, Tee und starkem, heißem Kaffee, den Karin so schnell in sich hineinschüttet, wie John, der Gastwirt, ihn nachschenken kann. Auf der anderen Seite des eher kleinen Raumes sitzt ein englisches Ehepaar, und alle unterhalten sich nur flüsternd, abgesehen von John, der stets ein lautes, freundliches Wort fallen lässt, wenn er eine neue Speise aufträgt. Kaum verschwindet er in der Küche, wo seine Frau am Herd steht, kehrt Stille ein, die Mac mit einer Zeitung noch mehr genießen würde.
Als Karins Handy klingelt, zucken alle zusammen. Sie wirft einen Blick aufs Display und strahlt ihn an. «Mary», flüstert sie, ehe sie nach oben eilt, um sich auf ihrem Zimmer ungestört telefonieren zu können.
«Wir sind im Carrefour!»
Ich halte das Handy vom Ohr. Dort, wo Mary sich befindet, ist es ganz schön laut, aber das ist meines Erachtens noch lange kein Grund, so zu schreien.
«Wo?»
«Im Carrefour, einem von diesen riesigen Supermärkten. So in etwa wie Walmart, aber eben italienisch, falls du weißt, was ich meine.»
«Nee, eigentlich nicht.» Wenn ich an Sardinien denke, tauchen vor meinem geistigen Auge die Fotos aus den Reiseführern auf: Palmen, deftige Pastagerichte, italienische Omis in Schürzen und keine riesigen Supermärkte. «Was macht ihr denn da?»
«Das ist eine lange Geschichte. Die Kurzfassung: Ich war auf der Suche nach einen Schlüsseldienst. Mein Italienisch lässt
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