Der Sommer deines Todes
Karin an.
Doch hinter dem Dorf geht es wieder so steil bergauf, dass ihnen die Ohren zufallen. Schließlich erreichen sie einen riesigen, fast leeren Parkplatz mit atemberaubendem Ausblick auf sanft abfallende Felder, die die lebensgefährliche Route, die sie hierhergebracht hat, Lügen strafen.
Die Luft ist leicht und riecht erdig. Sie überqueren den Parkplatz. Unter einem schattigen Baum sitzen zwei Männer auf Klappstühlen, neben denen Sättel und Zaumzeug liegen. Mac legt die Hand über die Augen, und Karin setzt ihre Sonnenbrille auf. Die Männer verstummen. Der Geruch von Pferdemist steigt ihnen in die Nase. In der Ferne trottet eine Gruppe Reiter eine lange Straße hinunter, die sich im Nirgendwo zu verlieren scheint.
«Hallo», beginnt Mac in der Hoffnung, dass die beiden Englisch verstehen. «Su Nuraxi?»
Ein Mann wirft amüsiert das ledrige Haupt nach hinten, sein fast zahnloser Kollege lächelt und meint: «Laggiù, devi tornare indietro, sei andato troppo lontano.»
Mac und Karin lächeln verständnislos.
«Zurück», sagt der Zahnlose. «Zurück.»
«Wenn wir schon mal hier sind …» Karin holt ihr Handy heraus, sucht ein Foto von Mary und den Kindern, das sie vergangene Weihnachten aufgenommen hat, und zeigt es den Männern. «Waren diese Leute schon mal hier?»
Sie mustern das Foto und zucken mit den Achseln, was zweierlei bedeuten kann: Entweder haben sie ihre Familie nicht gesehen, oder sie kapieren nicht, warum man ihnen den Schnappschuss zeigt.
«Danke», sagt Mac. «Ciao.»
«Ciao, ciao», erwidern die beiden und nehmen ihr Gespräch wieder auf.
«Das hier könnte das Ende der Welt sein.» Karin bleibt stehen und lässt den Blick schweifen. «Und wir haben es gefunden.»
«Wunderschön», findet Mac.
«Hm, auch ein bisschen unheimlich.» Sie sieht ihn an. «Weißt du, was ich meine?»
«Hier möchte man nicht verlorengehen.»
Mit klopfenden Herzen fahren sie die steile, kurvenreiche Straße zurück bis zu der Kreuzung, wo sie falsch abgebogen sind, und schlagen die andere Richtung ein.
Nicht lange, und sie erreichen Su Nuraxi, eine imposante Steinruine. Abgesehen von dem bescheidenen Parkplatz und dem kleinen Gebäude neben der Straße, in dem ein Andenkenladen und die Touristeninformation untergebracht sind, hat sich hier seit dem Mittelalter, wo die Anlage als Festung diente, wenig verändert.
Während Mac den Wagen parkt, rutscht Karin unruhig auf ihrem Sitz hin und her und schaut sich um. «Keine Spur von einen blauen Peugeot.»
Gemeinsam schlendern sie durch die flirrende Hitze über den staubigen Parkplatz zu dem Gebäude. Mac greift nach Karins Hand, die so kalt und feucht ist, dass ihn die Berührung seltsam traurig stimmt. Er drückt fest zu, und sie tut es ihm gleich, ohne ihn anzusehen. Er spürt, wie es sie drängt, ihn loszulassen und zu rennen. Mit der freien Hand sucht sie in ihrem Handy schon nach dem Foto.
«Hallo», begrüßt Karin das Mädchen, das neben dem Eingang der Touristeninformation in einer kleinen Bude sitzt und Eintrittskarten verkauft. «Tut mir leid, ich spreche kein Italienisch.»
«Kein Problem», antwortet das Mädchen zuvorkommend. «Ich spreche Englisch.»
«Oh. Gut.» Karin grinst zufrieden, hält ihr Handy hoch, zeigt dem Mädchen das Foto. «Das ist meine Familie. Haben Sie sie schon mal gesehen? Waren sie gestern hier?»
«Ach, gestern habe ich nicht gearbeitet. Warten Sie bitte einen Moment.»
Das Mädchen beugt sich aus dem Fenster und ruft nach einer Luisa, woraufhin eine Frau mittleren Alters mit hochgestecktem Haar erscheint. Sie trägt eine Art Uniform – Khakis und ein weißes T-Shirt mit einem Namensschild, auf dem in mehreren Sprachen
Touristenführer
steht.
«Hier sind zwei Amerikaner, Luisa», erklärt das Mädchen ihrer Kollegin und zeigt auf Karin und Mac.
«Wie kann ich Ihnen helfen?», erkundigt sich Luisa mit einem Lächeln.
«Haben Sie gestern hier gearbeitet?», fragt Mac.
«Ja, den ganzen Tag.»
Karin zeigt ihr das Foto. «Unsere Familie ist gestern hier gewesen. Haben Sie sie gesehen?»
Luisa studiert das Bild gewissenhaft, schüttelt den Kopf und sagt: «Nein, nicht das ich wüsste. Sind das Ihre Kinder?»
«Ja, zwei von ihnen», antwortet Karin. «Der kleine Junge und das Mädchen. Die beiden anderen sind Freunde von uns.»
«Ich habe auch eine Tochter in dem Alter.» Luisas Lächeln versiegt. Sie sieht besorgt aus. «Sie sind auf der Suche nach ihnen?»
«Wie viele Führer haben hier gestern
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