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Der Sommer der Frauen

Der Sommer der Frauen

Titel: Der Sommer der Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia March
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Nummer zu geben.
    «Wahrscheinlich ist er verheiratet», sagte June traurig. «Und sie wollen seine Telefonnummer nicht an irgendeine wildfremde Frau rausgeben. Ich habe mir überlegt, dass ich ihnen schreiben sollte, ihnen sagen, dass ich John von früher kenne und ihm etwas sehr Wichtiges zu sagen habe. Mehr nicht. Ich weiß nur nicht, wie ich das formulieren soll, ohne dass es völlig bescheuert klingt.»
    «Ich finde, du kannst es genau so ausdrücken, kurz, aber freundlich», sagte Isabel. Sie saß mit einem halben Stückchen Torte im Schneidersitz auf ihrem Bett. «Die Formulierung ‹Etwas sehr Wichtiges› sollte sie zumindest dazu bewegen, ihm den Brief zu geben und ihm zu sagen, dass du angerufen hast.»
    June lehnte sich gegen die Wand und schlang die Arme um die Knie. «Ich frage mich einfach ständig, was gewesen wäre, wenn er damals doch zum Brunnen im Central Park gekommen wäre. Wäre er bei mir in New York geblieben, bis ich mit dem Studium fertig gewesen wäre? Hätte er mich dazu überredet, mit ihm durchs Land zu reisen? Wären wir immer noch zusammen?»
    «Das weiß keiner», sagte Isabel. «Vorhin beim Film habe ich die ganze Zeit über die Situationen in meinem Leben nachgedacht, für die ich mich in Judgement City verantworten müsste, zum Beispiel, weil ich aus purer Angst gehandelt habe. Und dann habe ich gedacht, was, wenn ich Edward damals im Zentrum nicht begegnet wäre? Was, wenn ich einen anderen Betreuer bekommen hätte? Wer wäre ich dann heute?»
    Kat drehte sich auf den Bauch, das Kinn in die Hände gestützt. «Glaubst du wirklich, du wärst dann jemand ganz anderes? Ich meine, tief in deinem Herzen?»
    «Ich war früher schon ziemlich wild», sagte Isabel.
    June lächelte. «Das unterschreibe ich sofort.»
    «O ja. Daran erinnere ich mich auch noch», sagte Kat. «Aber hast du dich nicht einfach dazu hingezogen gefühlt? Zu diesen üblen Mädchen, zum Beispiel? So, wie es dich nach dem Unfall zu Edward gezogen hat. Da ging es doch auch um dich und um das, was dich anzog oder abstieß.»
    Isabel machte ein nachdenkliches Gesicht. «Wahrscheinlich hast du recht. Mir gefällt die Vorstellung, dass ich doch mehr Kontrolle über mein eigenes Ich hatte, als ich dachte. Dass ich es war, die auf die Umstände reagiert hat, und nicht die Umstände, die mich kontrollierten.»
    Kat nickte. Genau davor hatte sie Angst. Dass die Umstände sie kontrollierten und nicht umgekehrt. Der Grat schien ihr so schmal, dass sie das Gefühl hatte, mit einem Fuß auf jeder Seite zu stehen, die Trennlinie selbst aber nicht sehen zu können.
    «Wisst ihr, was ich mich frage?», sagte sie. «Wenn mein Vater nicht gestorben wäre, wenn eure Eltern nicht gestorben wären, wenn ein einziger Anruf der Polizei nicht das ganze Leben meiner Mutter schlagartig verändert hätte, wenn ich aufs College gegangen wäre … Wenn ich auf eine Kochschule gegangen wäre oder ein Jahr nach Frankreich … Wäre ich dann trotzdem jetzt mit Oliver zusammen?»
    «Das Schicksal würde Ja sagen», meinte June. «Falls man daran glaubt.»
    «Genau, ich habe auch überlegt, dass ich Edward vielleicht trotzdem begegnet wäre», sagte Isabel. «Wenn nicht im Boothbay-Zentrum für trauernde Kinder, dann eben irgendwo anders.»
    Sie schwiegen eine Weile.
    «Ich glaube, man kann sich immer für sein Leben verantworten», sagte Isabel. «Es gibt immer einen Grund für die Wahl, die man trifft. Nicht, dass man damit zwangsweise in den Himmel kommen würde. Trotzdem finde ich die Aussage des Films ganz wichtig. Wenn man sich vor etwas fürchtet, sollte man rausfinden, warum, und dann versuchen, ohne Furcht zu handeln. Man sollte eine Entscheidung treffen, zu der man stehen kann.»
    Kat drehte sich auf den Rücken und starrte den Deckenventilator an. «Und was, wenn man Angst davor hat, die falsche Entscheidung zu treffen? Sagen wir zum Beispiel, was, wenn Oliver zu heiraten gar nicht das ist, was ich tun sollte? Was, wenn ich eigentlich für etwas ganz anderes bestimmt bin?»
    «Ich glaube, das wüsstest du», sagte June. «Du willst das doch, oder, Kat?»
    Kat setzte sich auf und zog die Knie an die Brust. Sie nickte. Obwohl sie nicht sicher war.
    «Du kennst Oliver schon dein ganzes Leben», sagte Isabel. «Ich finde es wunderbar, dass du jemanden heiratest, den du schon so lange kennst. Es ist genau das Gegenteil von dem, was Edward und ich getan haben, wir haben so früh geheiratet. Ihr dagegen wisst genau, was euch erwartet. Ihr wisst

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