Der Sommer der Frauen
Brooks zusammen mit den anderen, die zurück auf die Erde müssen, in einem Trambahnwaggon – und sieht plötzlich in einem Waggon auf dem Nachbargleis Meryl Streep auf dem Weg nach oben. Meryl ruft verzweifelt seinen Namen, und er springt aus dem Wagen, um zu ihr zu gelangen. Packt die Gelegenheit beim Schopf. Ohne Angst vor der Wirklichkeit der Liebe. Und dann darf er einsteigen und mit ihr fahren.
«Ein toller Film», sagte June, als der Abspann lief.
Kat schaltete die Nachttischlampe ein. «Mom?», fragte sie und sah Lolly prüfend an. «Weinst du?»
Lolly wischte sich die Augen. «Bei diesem Film frage ich mich immer, ob –» Lolly stockte. Sie wirkte traurig und schwermütig. «Ich bin mir nicht sicher, ob ich in Judgement City bestehen würde.» Sie wandte sich ab und sah zum Fenster hinaus in die Dunkelheit.
«Aber natürlich, Mom», sagte Kat und fragte sich, auf was ihre Mutter da nur anspielte. «Und zwar mit links.»
«Das glaube ich allerdings auch», sagte Isabel. «Tante Lolly, du hast deine beiden verwaisten Nichten bei dir aufgenommen. Das allein reicht schon, um dich in den Himmel zu bringen.»
Kats Mutter lächelte Isabel verhalten zu, doch dann heftete sie den Blick fest auf den Abspann. Kat kannte diesen Gesichtsausdruck, diesen extrem abweisenden Blick, die aufeinandergepressten Lippen. Die Diskussion war beendet. Ihre Mutter würde kein einziges Wort mehr dazu sagen. Kat fragte sich oft, wie es eigentlich um das Privatleben ihrer Mutter stand. In den fünfzehn Jahren, seit Lolly Witwe war, war sie nicht ein einziges Mal mit einem Mann ausgegangen. Kat hatte sie einmal danach gefragt, ob sie jemals über einen «Galan» nachdachte, ein Wort, das Lolly lieber mochte als «Freund», doch ihre Mutter hatte nur «mach dich bitte nicht lächerlich» gesagt, mit so etwas sei sie endgültig fertig.
Konnte man mit der Liebe fertig sein? Ihre Mutter war für Kat meistens ein Buch mit sieben Siegeln. Aber sie hatte die Pension, sie hatte ihre Vereine, sie hatte ihre liebe Freundin Pearl, die immer wie eine weise Tante für sie gewesen war. Kat hatte ihre Mutter nie besonders fröhlich erlebt. Manche Menschen waren vielleicht einfach so. Natürlich verwarf Kat diesen Gedanken jedes Mal wieder, wenn er ihr kam. Ein Mangel an Freude war grundsätzlich ein Symptom dafür, dass irgendetwas schieflief.
Während Kat die Teller und Gläser einsammelte, merkte sie, dass ihre Mutter entweder eingeschlafen war oder so tat als ob. Lolly hatte während des ganzen Films ständig gegähnt, aber es war auch eindeutig gewesen, dass ihre Mutter diese Diskussion definitiv nicht fortsetzen wollte. Kat hätte zu gern gewusst, was Lolly gemeint hatte. «Mom?», flüsterte sie.
Keine Antwort.
«Kommt, wir gehen in den Aufenthaltsraum», flüsterte Isabel. «Oder nach oben.»
«Nach oben», antwortete Kat und stellte die Reste ihrer Minitorte und die Getränke auf ein Tablett. «Da stört uns keiner.»
Eilig klaubten sie ein paar verstreute Popkörner vom Boden und räumten auf. Dann schalteten sie das Licht aus und schlossen behutsam die Tür. Oben schaute June kurz bei Charlie ins Zimmer. «Ist er nicht unglaublich niedlich, wenn er schläft?», fragte sie lächelnd.
Kat und Isabel sahen ebenfalls zu ihm rein. «So süß!», sagte Isabel. Happy lag wie immer neben Charlie zusammengerollt auf dem Fußboden, und Charlies Hand ruhte auf der Hundepfote.
In ihrem Zimmer stellte Kat das Tablett auf den Schreibtisch. Auf Junes Bett lagen ein paar zerknüllte Seiten Schreibpapier.
«Arbeitest du an etwas?»
June blies sich eine Locke aus dem Gesicht und ließ sich aufs Bett plumpsen. Die Papierkugeln hüpften in die Höhe. «Ich will Johns Eltern einen Brief schreiben. Es ist schon drei Tage her, seit ich ihnen auf den Anrufbeantworter gesprochen habe. Sie haben immer noch nicht zurückgerufen. Ich habe sicher nichts verpasst, so obsessiv, wie ich ständig nachsehe.»
Vor drei Tagen hatten sie abends zu dritt zusammengesessen und überlegt, was June sagen sollte, falls bei Johns Eltern jemand ans Telefon ging, und was, wenn es der Anrufbeantworter wäre. Mit Kat und Isabel als Publikum hatte June mindestens zehnmal geübt, was sie sagen würde, bis wirklich alles nervöse Kratzen und Quietschen aus ihrer Stimme verschwunden war. Sie wollte, dass Johns Eltern bedenkenlos die Telefonnummer ihres Sohnes an ein nett und sympathisch klingendes Mädchen wie sie herausrückten – oder ihr wenigstens versprachen, ihm ihre
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