Der Sommer der Frauen
beide, wer ihr seid.»
«Weiß ich das?», fragte Kat – und erschrak, weil sie es laut ausgesprochen hatte. «Ich meine, ich weiß, wer Oliver ist. Ich kenne ihn so sehr, wie man einen anderen eben kennen kann. Aber was mich betrifft, mich selber kennen und wissen, was ich will, da bin ich mir nicht so sicher.»
«Tatsächlich?» June sah Kat nachdenklich an. «Ich denke immer, was für ein Glück du hast, weil dein Leben sich in derart sicheren Bahnen bewegt. Dein Geschäft mit dem Backen. Oliver. Die Pension. Das verschafft dir doch eine ungeheure Sicherheit.»
«Aber manchmal würde ich am liebsten einfach nach Paris abhauen, durch die Gegend laufen und in jedem Viertel das Gebäck probieren. Jeden süßen Typen küssen, der mir in die Quere kommt. Und auch mit ein paar von ihnen schlafen. Klingt das verrückt?»
«Da fragst du die Falschen», sagte June. «Ich meine, schau uns doch mal an. Wir hängen beide völlig in der Luft. Für uns klingen Sicherheit und eine klare, leuchtende Zukunft ziemlich verlockend.»
«Kann es sein, dass du daran zweifelst, ob du Oliver heiraten sollst?», fragte Isabel. «Falls ja, dann tu es nicht, Kat.»
Aber es ist der Traum meiner Mutter, mich heiraten zu sehen. Mich als angetraute Gattin des Mannes zu sehen, den mein Vater schon als Jungen vergötterte und mir mit fünf Jahren als Ehemann prophezeite. Wie könnte ich ihr das verweigern, wo es doch eigentlich nur darum geht, mich endlich von ein paar inneren Widersprüchen zu verabschieden.
«Ich zweifle nicht daran», sagte Kat, aber ihre Cousinen sahen sie weiter eindringlich an.
«Kat?», sagte June, den Blick auf Isabel gerichtet. «Sagen wir mal, rein hypothetisch, Isabel und ich würden morgen hier in der Pension anlässlich deiner Verlobung eine kleine, feine Überraschungsparty für dich schmeißen. Und sagen wir, wir hätten Olivers Eltern dazu eingeladen und seinen Bruder und noch ein paar Freunde von euch aus der Stadt. Wäre das für dich okay?»
Kat hätte aufspringen und rufen können
Nein, blast es ab, blast die ganze Sache ab!.
Nach einer Verlobungsfeier gab es endgültig kein Zurück mehr.
Stattdessen betrachtete sie ihren Ring und dachte an ihre Mutter, die in ihrem Krankenbett lag und schlief, und sie sagte: «Natürlich ist das okay. Vielen Dank!»
Isabel sah sie immer noch eindringlich an, und Kat wechselte eilig das Thema. «Glaubt ihr, mit meiner Mutter ist alles in Ordnung? Macht sie sich nur Sorgen wegen …» Kat konnte es nicht aussprechen.
«Ich glaube schon», sagte June. «Bestimmt hat unser ganzes Gerede übers In-den-Himmel-Kommen und Seine-Entscheidungen-Verantworten sie dazu angeregt, über ihr eigenes Leben nachzudenken.»
«Mich jedenfalls ganz sicher», sagte Kat.
*****
Am Samstagnachmittag tat Kat fürchterlich überrascht, als sie mit Oliver in den Garten kam und dort auf eine kleine Verlobungsparty zu ihren Ehren stieß. Olivers Eltern waren zusammen mit seinem Bruder Declan und dessen Freundin aus Camden gekommen, außerdem tummelten sich im Garten noch ein paar alte Sandkastenfreunde, die sich an Sekt Orange und kleinen Horsd’œuvres labten. Kat musste lächeln, als sie sah, dass Lizzie Lolly am großen Tisch in Beschlag genommen hatte und ihr das Farbcodierungssystem in den über den ganzen Tisch verstreuten Hochzeitsmagazinen erklärte.
Kat stand mit drei alten Freundinnen aus Kindheitstagen zusammen und beobachtete, wie Oliver erst von seinem Bruder – einer jüngeren Version von ihm selbst – und dann von dessen Freundin umarmt wurde. Fred und Freya, Olivers Eltern, plauderten angeregt mit den Nutleys, die vor Jahren ihr Haus gekauft hatten.
Das ist künftig meine Familie
, dachte Kat und nippte an ihrem Glas. Sie kannte all diese Menschen schon seit Ewigkeiten, sie mochte sie alle und war im Laufe der Jahre unzählige Male mit Freya Tates liebevoller Zuneigung überhäuft worden. Doch bei der Vorstellung, in Zukunft Feiertage und Geburtstage und besondere Anlässe mit den Tates zu verbringen, wanderte ihr Blick zu Lolly, Isabel und June, und in ihr stieg ein ungeahnt heftiger Beschützerinstinkt auf. So lange Zeit hatten sie sich nie wie Familie angefühlt, und trotzdem wäre sie am liebsten mit ihnen ins Haus gerannt, um sich im Aufenthaltsraum einzuschließen und mit ihnen
Silkwood
oder
Die Geliebte des französischen Leutnants
anzusehen.
«Weißt du, was ich schön fände?», sagte Oliver gerade zu Lolly. «Eine Hochzeit an Thanksgiving, und zwar hier in der
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