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Der Sommer der Gaukler

Der Sommer der Gaukler

Titel: Der Sommer der Gaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hueltner
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beschlichen, dass in Grabesstille und Pechdunkel des Bergwerks vielleicht doch irgendein Wesen hausen könnte. Empfand es ihr Tun plötzlich als Frevel? Über Generationenhatte es die kleine Knappschaft gewähren lassen. Kein Ächzen, kein Grollen hatte es von sich gegeben, Tag für Tag die Bergleute in seine hallende und tote Finsternis aufgenommen, wo sie sich im flackernden Schein der Fackeln und Kerzen, hustend in Steinstaub und von Pechrauch verpesteter Luft, mit Hacke, Hammer und Meißel immer tiefer in das Innere des Berges wühlten. Erwachte dieses Wesen allmählich?
    Seit einigen Wochen kämpfte Vester mit Anfällen von Melancholie. An manchen Abenden wollte der Schlaf nicht kommen, so erschöpft er auch sein mochte. Dann stand er auf, tappte über die schnarchenden Kollegen und ging in die Nacht hinaus. An der Schanze der Abraumhalde ließ er sich nieder, glotzte den Mond an, lauschte den Stimmen des Hochwaldes und fühlte eine grenzenlose Leere in sich.
    Er sah ins Tal hinab. Dort unten war das Leben, die Wärme der Frauen, das Geplärr der Kinder, dort dampften Backöfen und schmorten fettige Speisen, dort blühten die Farben prachtvoller Feste und prangender Umzüge. Der Gedanke versetzte ihm einen Stich: Er würde nie dazugehören. Wird dies für immer sein Leben sein, dieses ewige Dunkel, diese stete Angst, diese aufreibende Mühsal? Es war noch keine zehn Jahre her, dass in den Stollen und in der Schmelze im Taldorf mehr als hundert Knappen ihr Auskommen gefunden hatten. Doch schon damals war die Ausbeute von Jahr zu Jahr geschrumpft. Als dann – der zwischen Machtwahn, Dummheit und Gier changierende bairische Kurfürst hatte sich wieder einmal gründlich verkalkuliert – die Kaiserlich-Österreichische Armee anrückte, schien das Ende gekommen zu sein. Kroatische Marodeure setzten die Schmelze in Brand, schleuderten Sprengsätze in Knappenstuben und Stollenmünder.
    Kaum waren die Söldner abgezogen, stellte das kurfürstliche Bergamt zu München eine Rechnung auf. Sie ergab ein Missverhältnis zwischen den Kosten für den Wiederaufbau und dem zu erwartenden Ertrag. Von einem Tag auf den anderen wurde die Entlassung aller Knappen und die Einstellung des Bergbausverfügt. Allerdings würde dem, der die Suche nach Blei und Galmei auf eigene Rechnung weiterführen wollte, nichts in den Weg gelegt werden.
    Ein Geschäftsmann namens Anton Paccoli, gebürtig aus dem Salzburgischen, doch seit längerem im Kurbaierischen ansässig, hatte sich den Zuschlag gesichert. Er warb ein Dutzend Bergleute aus dem Tiroler Unterland an, die bereits Erfahrung in den alten Revieren um Schwaz gesammelt hatten, und schloss leidlich faire Pachtverträge mit ihnen. Mit unauffällig gesetzten, doch unmissverständlichen Hinweisen auf seine Beziehungen zu höchsten Stellen hatte er den örtlichen Bergrichter dazu bewegen können, das Holz, das er zur Verbauung der Stollen und zum Schmelzbetrieb brauchen würde, zu mehr als günstigen Konditionen im Gemeindewald einschlagen zu dürfen.
    Zwei, drei Jahre ging alles gut. Neue Knappschaften ließen sich um den Kogelberg nieder, schmächtig wirkende, doch eisern zähe tirolische Romanen, von den Einheimischen argwöhnisch beäugt. Paccoli bezog bald ein prächtiges Herrenhaus bei Reichenhall. Ob er noch andere Einkünfte hatte, blieb ein Rätsel. Die Pachteinnahmen allein konnten es nicht sein – die flossen zudem von Jahr zu Jahr magerer, so sehr die Bergleute auch schufteten und sich das tote Gestein der Abraumhalden immer tiefer in den darunter liegenden Bergwald ergoss.
    Schon gaben die Ersten auf. Der Berg sei erschöpft, behaupteten sie. Sie nähten ihre wenigen Ersparnisse in den Saum ihrer Reisekleidung und packten ihr Bündel. Andere wiederum schlugen Steige durch den Hochwald, musterten den Fels, schätzten den Verlauf der Erzadern ab, durchstreiften das schroffe Gelände, die Wünschelrute vor der Brust gespreizt. Dann, nachdem sie ein Gebet zu ihrer Schutzheiligen gesprochen hatten (und, sicher ist sicher, den Berggeistern mit einem kleinen Opfer verstohlen Respekt erwiesen hatten), schlugen sie den neuen Stollen an. An einem Morgen nach einer gewittersatten Nacht und zwei Monaten ergebnisloser Suche, standen sie bis zu den Knien in brackigem Wasser. Sie lästerten Gott, heulten, prügeltenauf den Rutengänger ein, der mit seinem geheimen Wissen geprahlt hatte. Dann gaben auch sie auf.
    Die Knappen der Kogelscharten-Grube, in der Kehle unterhalb eines Grates zwischen

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