Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
dirigierte sein Kammerdiener eine kleine Armee Lakaien, die die feinsten Leinenhemden und Seidenkrawatten, die man in der Bond Street finden konnte, für ihren Herrn einpackten. Das galt auch für die diversen Reitjacken, Fracks und Mäntel. Jason machte gerade eine leicht geckenhafte Phase durch; während seines Aufenthalts auf dem Kontinent würde er bestimmt den dandyhaften Kleidungsstil George Brummells für sich entdecken. »Du weißt doch, dass ich ein Papier präsentieren muss, sobald ich zur Historischen Gesellschaft zurückkehre.«
Die Aufnahme in die Historische Gesellschaft – Gesellschaft der Historischen Künste und Architektur der Bekannten Welt, so der vollständige Name – war Jasons wahrer Traum gewesen. Unglücklicherweise diente die Gesellschaft ihm oft als bequeme Ausrede.
»Da geht es doch nur um Geschichte«, hatte Jane erwidert, »und die kann warten!«
»Mein Thema sind die Schäden, die Napoleons letzter Feldzug an der mittelalterlichen Architektur auf dem Kontinent angerichtet hat. Ich muss ein Verzeichnis erstellen, solange die Schäden noch frisch sind, und vor allem auch, bevor jemand anderes es tut. Charles und Nevill sind bereits in Bruges …«
»Ah ja, Charles und Nevill.« Jane zog die Brauen hoch, als sie die Namen der zwei besten Freunde ihres Bruders – und Komplizen seines Unfugs – wiederholte. »Mit ihnen an deiner Seite wirst du unglaublich viel Arbeit erledigen können.« Der Sarkasmus tropfte ihr wie Honig aus dem Mund.
Jason bewies ein Fünkchen Intelligenz und reagierte nicht auf ihren Köder. Jane durchquerte das Zimmer und legte ihm die Hand auf die Schulter, damit er aufhörte, seine Unterlagen zu sortieren.
»Bitte, Jase«, sagte sie mit einer Stimme, die in ihrer Aufrichtigkeit weich klang, »ich möchte nicht allein hierbleiben. Es ist so seltsam ohne …«
»Du wirst nicht allein sein. Vater ist doch hier«, konterte Jason.
Jane seufzte und sprach die Wahrheit aus, die ihr schon die ganze Zeit über durch den Kopf geisterte. »Vater fühlt sich nicht wohl.«
Jason schaute seiner Schwester in die Augen, blickte dann über seine Schulter und nickte dem Kammerdiener zu. Der Mann klatschte kurz in die Hände, womit er die Horde Lakaien aus dem Zimmer scheuchte.
»Vater geht es gut«, sagte Jason, kaum dass sie allein waren.
»Nein, das stimmt nicht«, widersprach Jane ruhig, »wie du genau weißt.« Einen Moment schwieg Jason, was ihr bestätigte, dass sie recht hatte – er wusste um den Zustand des Vaters, war aber nicht bereit, es einzugestehen.
»Er ist … er trauert einfach nur. Er wird sich schon wieder fangen«, sagte er schließlich. Aber Jane wusste es besser.
Der Duke of Rayne war ein stolzer Mann – stolz vor allem auf seine zwei Kinder, aber auch auf seinen Verstand. Er konnte die Zahl Pi ohne Stift und Papier bis auf die fünfzigste Dezimalstelle berechnen; er konnte jeden Vogel, der an seinem Fenster vorbeiflog, sowohl mit seinem gemeinen Namen als auch mit der wissenschaftlichen lateinischen Bezeichnung benennen. Aber in letzter Zeit hatte er gelegentlich ein paar Dinge vergessen. Den Namen des Hausverwalters von Crow Castle zum Beispiel, der schon vor Janes Geburt in Diensten der Familie gestanden hatte. Oder dass England nicht länger Krieg gegen Frankreich führte. Die Kinder hätten es natürlich auf die Trauer schieben können, darauf, dass der Mann seine Ehefrau verloren hatte … wenn diese kleinen Vergesslichkeiten nicht schon vor dem Tod der Duchess aufgetreten wären. Und seit sie nach Crow Castle gekommen waren, war alles noch schlimmer geworden.
»Lass uns nach London fahren … damit ein Arzt ihn untersuchen kann«, schlug Jane vor. Aber über Jasons Miene huschte nur ein ärgerlicher Ausdruck.
»Nein«, unterbrach er sie heftig, »glaubst du im Ernst, Vater möchte, dass irgendjemand über seine … Fehlleistungen Bescheid weiß?« Erneut wandte Jason sich seinen Unterlagen zu, vehement schob er sie in einen seiner Ordner. »Er braucht nur ein wenig Erholung von der Stadt. Ich wage die Behauptung, dass ihm das Drama um deine erste Saison in London gereicht hat, ihm den Verstand zu rauben. Das wäre allen anderen übrigens auch so ergangen.«
Jane stiegen die Tränen in die Augen, und sie spürte, wie ihre Wangen sich röteten. »Das ist nicht fair.« Jason schaute auf und ging sofort zu seiner Schwester.
»Es tut mir leid«, entschuldigte er sich zerknirscht und legte ihr den Arm um die Schultern. »Das hätte ich
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