Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
Doch ich wusste, dass ich mich nicht beruhigen würde, bis Simon aus diesem Haus herausgekommen war. Von meinem Standort aus konnte ich nichts erkennen, weder einen Feuerschein noch ein Anzeichen von Simon oder sonst jemandem. Die Stille war nervenzerfetzend. Das Haus erschien mir wie ein Grabmal, das Simon eingeschlossen hatte.
Versteckt hinter den Büschen, arbeitete ich mich zu einer Stelle vor, von wo aus ich die Haustür des Drachenbaus beobachten konnte. Dort wartete ich.
Es war so still! Ich bekam Krämpfe in den Beinen von der Hockstellung. Die Minuten schleppten sich vorbei. Endlich, ein Geräusch: das Knirschen von Kies, gefolgt von der filmreifen Helle von Scheinwerfern, die die Auffahrt entlang und über den düsteren Eingang schwenkten. Ein Löschzug war eingetroffen.
Ich schluckte. Der Anblick des Lkws ließ den Vorfall plötzlich noch ernster erscheinen. Zwar war es kein großer städtischer Löschzug, aber immerhin ein Feuerwehrfahrzeug, das tiefrot wie Blut in der Dunkelheit leuchtete.
Was hatten wir uns nur dabei gedacht?
Drei Männer sprangen heraus. Sie trugen Helme. Man hörte Knistern und krächzende Stimmen aus Funkgeräten. Ein paar rasche Schritte, und die Männer waren drinnen, dunkle Gestalten, die wie Schatten in das Gebäude schlüpften. Ich schluckte mühsam. Meine Kehle war vollkommen ausgetrocknet und rußbelegt. Dann herrschte wieder Stille.
Eine Grille begann zu zirpen und leistete mir mit ihrem leisen Sirren Gesellschaft. Mich erfasste eine Welle der Dankbarkeit für dieses Geräusch. Und gerade, als ich glaubte, die enge, verkrampfte Hockstellung nicht mehr ertragen zu können, öffnete sich die Tür zur Villa und das schwarze Rechteck wurde gräulich-blau erleuchtet. Mehrere Gestalten drangen aus dem Haus. Taschenlampen warfen weiße Lichtstrahlen durch die Nacht. Stimmen hoben und senkten sich, aufgeregt und zornig. Eine von ihnen gehörte Simon.
Gott sei Dank! Erst, als ich beim Klang von Simons Stimme ausatmete, stellte ich fest, dass ich die Luft angehalten hatte, während ich darauf wartete, dass er herauskam. Die Fingernägel hatte ich fest in meine Handflächen gepresst.
Simons Stimme schwebte in Bruchstücken durch die Luft, irgendetwas mit »Entschuldigung« und »obdachlos«. Er klang munter, ja sogar theatralisch – typisch Simon, der zweifellos den Nervenkitzel und die Lächerlichkeit der Situation genoss und der Feuerwehr – oder mit wem auch immer er redete – eine höchst komplizierte, ausgefeilte Lüge auftischte. Doch meine Erleichterung beim Hören von Simons Stimme verflog, als Türen knallten, der Lkw brummend zum Leben erwachte und Simon bald darauf mit den Männern verschwunden war.
Ich war allein. Sogar die Grille hatte mich verlassen. Es war Zeit zu gehen.
Nebelfetzen trieben vom Ozean herein, und Kühle lag in der Luft. Meine rußverschmierten Augen brannten. Auf dem Weg vom Drachenbau nach Hause war ich dankbar dafür, dass mir die prickelnde, salzgeschwängerte Luft den Rauch aus Haaren und Kleidern blies. Ich verschränkte die Arme vor der Brust, und eine nagende Unruhe überkam mich. Was immer Simon bei den Behörden erwartete, war schlimm genug, aber ich wusste, dass der schlimmste Ärger von Mr Ross drohte. Inzwischen hatte man ihn wahrscheinlich benachrichtigt.
Ich fing an zu rennen.
Ich befürchtete das Unvermeidliche: Simons Vater würde an die Decke gehen, wenn er erfuhr, was geschehen war. Simon wird sich schon rausreden, versuchte ich mich zu beruhigen, als ich durch mein Fenster hineinschlüpfte und ins Bett fiel. Aber überzeugt war ich nicht.
kapitel fünfzehn
»Guten Tag, Dornröschen«, begrüßte mich Dad, der sich gerade in der Küche ein Glas Limonade zubereitete. »Du hast aber lange geschlafen.«
Es war schon ein Uhr mittags. Wie zerschlagen und desorientiert war ich aufgewacht, die Bettdecke um die Füße gewickelt. Fetzen von Albträumen, an die ich mich kaum erinnern konnte, verflüchtigten sich, als ich mich aufsetzte, aber das hartnäckige Gefühl drohenden Unheils konnte ich nicht abschütteln.
»Hat Simon angerufen?«, fragte ich besorgt. »Oder ist er vorbeigekommen?«
»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete Mom, die auf der Anrichte Tomaten in Scheiben schnitt. »Wie wär’s, wenn du dir vor dem Mittagessen das Gesicht wäschst?«
Doch ich war schon zur Tür raus und rannte hinunter an den Strand. Corinne und Beth lagen wie winzige Puppen weit draußen in den Dünen, aber ich wandte den Blick ab und
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