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Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)

Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Howells
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über das Feuer und Simons Schicksal erfahren würde. Nicht mehr lange, sagte ich mir, aber ich wusste, dass es sich für mich wie Ewigkeiten anfühlen würde, bis der Abend vorbei sein würde und ich endlich aus dem Fenster klettern konnte.
    »Isst du die noch?«, fragte Dad und zeigte auf die Hummerschere. Ich blinzelte, bis ich den Eimer mit Meeresfrüchten vor mir wieder scharf sehen konnte.
    »Bedien dich«, antwortete ich und schob Dad den Eimer zu. Ausnahmsweise konnte ich mich heute kein bisschen für Meeresfrüchte begeistern. Der Mut sank mir noch weiter, als mir klarwurde, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis meine Eltern und meine Tante und mein Onkel erführen, dass Simon für das Feuer im Drachenbau verantwortlich war. In dieser kleinen Stadt verbreiteten sich Neuigkeiten schnell. Der positive Eindruck, den er beim ersten Kennenlernen hinterlassen hatte, wäre im Nu ruiniert.
    Vielleicht aber auch nicht, redete ich mir verzweifelt ein und versuchte mir einzubilden, wie meine Mutter und meine Tante Simon begeistert umarmten, weil er versucht hatte, den Drachenbau zu zerstören. Schließlich hatte mich dieser Sommer gelehrt, dass nichts unmöglich war, oder? Doch der Gedanke verschwand so plötzlich, wie er gekommen war. Nichts Gutes würde daraus hervorgehen. Nichts Gutes.

    Ein fernes, aber bedrohliches Donnergrollen begleitete uns auf der Rückfahrt nach Wind Song. Die Hitze ließ endlich nach. Doch erst, nachdem sich alle zur Nacht auf ihre Zimmer zurückgezogen hatten, brach das Gewitter richtig los. Blitze zuckten stroboskopartig über den Himmel. Am Horizont griffen weiße Finger krachend ins Wasser.
    An jedem anderen Abend wäre ich fasziniert von dem aufreißenden, brennenden Himmel gewesen, den Blitzen, dem gleichmäßigen Trommeln des Regens auf dem Dach. Doch als die ersten Tropfen laut gegen meine Scheiben peitschten, wuchs meine Verzweiflung. Wenn das nicht aufhörte, wie sollte ich dann rauskommen und mit Simon reden? Und selbst wenn es aufhörte, würde er bei einem so schlechten, nassen Wetter rausgehen und auf mich warten?
    Doch im Grunde kannte ich die Antwort und freute mich darüber. Simon war eine Ausnahme – er würde nicht mal ein schreckliches Gewitter zwischen uns kommen lassen. Trotzdem war ich unsicher, als ich an meinem Fenster stand und darauf wartete, dass sich das Wetter besserte. Womöglich war Simon gekränkt und wütend und wollte lieber allein sein. Oder er hatte von seiner Mutter erfahren, dass ich dagewesen war und eigentlich gegen Abend hatte wiederkommen wollen. Doch ich war nicht erschienen, also war er vielleicht auch sauer auf mich. Wer weiß. Ich starrte hinaus in den Sturm und wartete. Und dann sah ich ein Licht aufblitzen.
    Erst dachte ich, es käme vom Gewitter. Doch beim dritten Blitz überlief mich eine freudige Welle der Erkenntnis: Simon hatte noch meine Taschenlampe von gestern Abend und schickte mir unser Zeichen, dass ich rauskommen und mit ihm reden solle. Drei Lichtzeichen vom Strand aus zu meinem Fenster.
    Ich schnappte mir die Regenjacke mit Kapuze, die ich zum Segeln anzog, schlüpfte zum Fenster hinaus und das Rosenrankgestell hinunter. Es regnete immer noch, und trotz des Gewitters war die Luft schwülwarm wie im Treibhaus. Simon kam auf mich zu und ließ immer wieder die Taschenlampe aufflammen, während ich zum Strand hinunterging.
    »Wo warst du denn?«, fragte er. »Ich habe den ganzen Abend darauf gewartet, dass das Licht in deinem Zimmer angeht.« Aber er war nicht sauer auf mich, und mitten in meinen hektischen Entschuldigungen und Erklärungen nahm er mich fest in die Arme.
    »Geht’s dir gut?«, flüsterte ich in seine klatschnasse Jacke hinein. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht!«
    Er löste sich von mir, beleuchtete sein Gesicht und grinste. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.« Auf seiner verletzten Wange hatte sich ein dunkler Bluterguss gebildet. Aber die Schwellung war zurückgegangen. »Es geht mir gut. Diesmal hat er mich verschont.« Er blickte zum Himmel, als der Regen wieder stärker wurde. »Komm, setzen wir uns in den Pavillon, bis es etwas aufhört.«
    Während wir über den Sand zu Simons Haus liefen, erzählte er mir alles, was passiert war, nachdem ich aus dem Drachenbau geflüchtet war. Der Hausmeister war gekommen, doch bis dahin war es Simon gelungen, das Feuer vollständig zu löschen. Beim Eintreffen der Feuerwehr gab es nichts mehr für sie zu tun, daher brachten sie ihn auf die Polizeiwache.

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