Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
feststellte, ohne es zu wollen.
»Definiere ›warm‹«, forderte ich.
»Probier’s doch selbst aus.«
Ich blickte auf das Meer. Der Himmel war pechschwarz, und der Ozean von einem einladenden, milchigen Grau. Es war eine schwüle Nacht, Mückenschwärme summten, und die Vorstellung von Wasser auf meiner Haut erschien mir verführerisch. Deswegen hatte ich auch meinen Bikini drunter. Ich hatte mich endlich dazu entschlossen, das Schwimmen bei Nacht einmal auszuprobieren. Doch jetzt, als ich kurz davor stand, ins Wasser zu gehen, kamen mir Bedenken.
»Hab keine Angst. Wir schwimmen nicht weit raus.«
Ich zögerte, aber eine Mücke, die mich in die Schulter stach, gab den Ausschlag. »Okay«, gab ich nach und schlüpfte aus meinen Cargohosen.
»Daisy stürzt sich in die Fluten«, scherzte Simon, der neben mir ins Wasser planschte. Er nahm meine Hand, und ich ließ es zu. Doch als wir bis zur Taille drin waren, riss ich mich los. Die Wellen waren nicht hoch, aber es war so dunkel, dass die sich hebenden und senkenden Schatten weiter draußen ein wenig beängstigend wirkten – was die Sache wiederum spannend machte. Mir klopfte das Herz, als ich etwas weiter entfernt über das Wellenrauschen hinweg Simon rufen hörte.
»Hey!«, rief ich. »Bei dir alles in Ordnung?«
Simon antwortete mit einem übermütigen Schrei.
»Komm hier raus zu mir, Ms Vorsichtig!«, lachte er während einer Phase ohne Wellen.
»Mach dich nicht lustig über mich«, bat ich, als Simon schließlich auf mich zuschwamm. Doch ich lächelte. Hier draußen zu sein, nur wir beide im Wasser, war so aufregend, wie es das Schwimmen tagsüber inmitten der Menschenmengen niemals sein konnte. Hinzu kam noch die Dunkelheit. »Siehst du, wie viel Spaß es macht, wenn man tut, was Simon sagt?«, neckte mich Simon und kam näher.
»Kann schon sein«, antwortete ich und ruderte rückwärts zurück in Richtung Strand. »Aber Simon sollte sich nichts darauf einbilden.«
»Ich wäre gerne ein guter Maler«, erzählte Simon. »Wenn das klappen würde, wäre ich schon zufrieden.«
Nach dem Schwimmen saßen wir noch im Sand. Das Meer hatte meine Muskeln und meinen Verstand entkrampft. Zum ersten Mal, seit ich Simon kennengelernt hatte, konnte ich entspannt mit ihm reden. Er erzählte mir, dass er in Minneapolis lebe und zwei ältere Brüder habe, einer sei in Wharton, der andere bei der Navy. Beide könne er nicht ausstehen. Ich versicherte ihm mein Mitgefühl und revanchierte mich mit nicht-niedlichen Geschichten über die nicht-niedliche Eva. Ich erzählte ihm, dass ich in der Schwimmmannschaft war und vielleicht später Ozeanographie studieren wolle. Er erzählte mir, er liebe alten Jazz und träume davon, Künstler zu werden.
»Ich versuche, die Sache nicht zu ernst zu nehmen. Aber das Malen macht mich wirklich glücklich. Vielleicht zeige ich dir mal was.« Dann fügte er hinzu: »Entschuldige, das klang jetzt angeberisch.«
»Ich finde, es klingt angeberisch, wenn man behauptet, man habe gar nicht angeben wollen«, neckte ich ihn. »Gib’s zu – du zeigst allen Mädchen deine Bilder. Um sie zu beeindrucken.«
Simon schüttelte langsam den Kopf. »Du bist wirklich eine harte Nuss.« Er lächelte. »Warum machst du’s mir so schwer, Daisy? Wo ich doch dachte, wir würden uns gut verstehen und könnten richtige Freunde werden.«
»Tut mir leid. Aber meine Großmutter hat mir eingeschärft, niemals einem Mann zu trauen, der einem seine Bilder zeigen will. Oder der aus Büchern zitieren kann. Oder der weiße Socken trägt«, fügte ich lachend hinzu.
Simon nickte gespielt ernst. »Ziemlich gute Ratschläge … Aber ist dir mal aufgefallen, wie wenig alte Leute im Grunde genommen wissen? Eigentlich sollte man umso weiser werden, je älter man wird, ich dagegen glaube, dass es umgekehrt funktioniert. Dass man nach einem ganzen Leben auf Erden alles auf Dinge wie weiße Socken reduzieren muss … von denen ich, wie ich dir bei dieser Gelegenheit versichern kann, nie ein einziges Paar besessen habe.«
»In echt jetzt? Dabei hätte ich schwören können …«, alberte ich herum.
»Meine Großmutter«, unterbrach mich Simon mit erhobenem Zeigefinger, »wusste, was wirklich wichtig ist im Leben. Sie war eine beeindruckende Person, eine leidenschaftliche Gläubige.«
»Aha.« Herausfordernd verschränkte ich die Arme. »An was glaubte sie denn?«
»An Lotto.«
»Hat sie jemals gewonnen?«
»Nein.« Simon lachte. »Aber sie hat immer geglaubt,
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