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Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Derbort
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prüfte deren Funktion. Dann reichte er Bianca und Werner jeweils ein Exemplar.
    „Aber ich habe doch meine Lampe“, bemerkte Werner irritiert.
    „Diese hier ist stärker“, antwortete der Pfarrer. „Dort unten gibt es kein elektrisches Licht und die Stufen und Gänge sind etwas gefährlich. Ich möchte, dass Sie mitgehen, Werner, aber auch für Sie gilt, dass Sie mit niemandem darüber reden. Ich vertraue Ihnen.“
    Werner wirkte alarmiert, stand aber auf.
    „Gehen wir.“
    Pfarrer Schuster führte seine Gäste in die Diele und dann in den Keller des Pfarrhauses. Die Kellerdecke war so niedrig, dass sich alle drei leicht ducken mussten, um nicht mit dem Kopf an die Decke zu stoßen. An der Kopfseite des größten Kellerraumes stand ein hölzernes Weinregal. Es fiel auf, dass die Weinflaschen aber in Tonrohren an der Stirnseite lagerten.
    „Bitte helfen Sie mir“, sagte der Pfarrer und schickte sich an, das Regal zur Seite zu schieben.
    Bianca und Werner packten mit an. Dennoch ließ sich das aus massiver Eiche gefertigte Regal nur sehr widerwillig verschieben.
    Schließlich gelang es ihnen doch und nach zwei schweißtreibenden Minuten hatten sie eine Öffnung in der Wand freigelegt. Der Pfarrer schaltete die Taschenlampe ein und leuchtete in die Öffnung. Unebene schmale Treppenstufen führten weiter in die Tiefe.
    „Seien Sie vorsichtig. Einige Stufen sind in einem sehr schlechten Zustand“, sagte Pfarrer Schuster und übernahm die Führung.
    Etwa vierzig Stufen führten in ein Gewölbe tief unter der Kirche. Der schmale Gang beschieb eine langgezogene Kurve und mündete schließlich in eine recht spartanisch eingerichtete Grotte.
    In der Mitte dieser Höhle befand sich ein Sarkophag aus behauenem Sandstein. Er wirkte schlicht, hatte aber keinen Deckel. Reste abgebrannter Kerzen umsäumten die breiten Oberseiten der Seitenwände des Sarkophages.
    Pfarrer Schuster leuchtete hinein und gebot Bianca, auch einen Blick hineinzuwerfen.
    Eher zögerlich kam Bianca der Aufforderung nach. Was sie sah, ließ sie an ihrem Verstand zweifeln.
    In dem Sarkophag lag eine Leiche in Priestergewand, die den gleichen Erhaltungsgrad aufwies, wie die Leichen in den Gräbern. Der Schädel des Toten war gespalten. Die Reste des eingetrockneten Blutes auf seinem Gesicht waren fast schwarz. Herausquellende Gehirnmasse wies immer noch die deutlichen Strukturen eines menschlichen Gehirnes auf. Obgleich oberflächlich etwas eingetrocknet, zeigte das Gewebe ansonsten nicht die mindesten Anzeichen von Verfall. Der Gesichtsausdruck des Toten wirkte entsetzt. Bianca glaubte zu erkennen, dass der Mann sehr genau erkannt hatte, welches Schicksal ihm unmittelbar bevorstand. Auch die beiden Hände, die krampfhaft zu Fäusten geballt waren, ließen vermuten, dass er die letzten Sekunden seines Lebens in unglaublichem Schrecken verbracht hatte.
    8.
Sie saßen lange schweigend im Pfarrhaus. Werner rauchte eine Zigarette nach der anderen. Auch Bianca kam zu dem etwas unvernünftigen Schluss, dass sieben Jahre Nikotinabstinenz erst einmal genug seien, und bat Werner um eine Zigarette.
    Aber nichts, was sie tat, half dabei, ihr Zittern unter Kontrolle zu bringen.
    „Verstehe ich Sie richtig, dass diese Leiche da unten so um die fünfhundert Jahre alt ist?“, fragte sie schließlich.
    „Das ist korrekt“, antwortete Pfarrer Schuster.
    „Und warum haben Sie mir das jetzt gezeigt?“
    „Ich bin ein Mann der Kirche“, erklärte der Priester. „Sie sind hingegen eher das Gegenteil, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Ich möchte Sie jetzt nicht bekehren. Fast schon im Gegenteil: Ihr fehlender Glaube ist meine letzte Hoffnung. Wenn ich Recht habe, steht uns Furchtbares bevor. Daher wäre es für mich eine sehr große Beruhigung, wenn Sie für all das hier eine wissenschaftliche Erklärung finden würden.“
    „Wow ...“ Bianca atmete tief ein. „In einem haben Sie recht: Mein Urlaub ist jetzt wirklich im Eimer. Auch wenn ich das hier abhaken und wie geplant morgen meine Wandertour unternehmen würde.“
    „Das tut mir wirklich sehr leid“, sagte Pfarrer Schuster.
    „Okay.“ Bianca stand auf. „Halten Sie mich meinetwegen für egoistisch. Aber diese Angelegenheit werde ich nicht auf eigene Kosten klären. Und mein Kollege auch nicht. Anna hat mir freundlicherweise schon mein Abendessen spendiert. Aber die nächsten Übernachtungen bezahlt, wer will. Ich jedenfalls nicht.“
    „Das ist bereits geklärt.“ Der Priester lächelte.

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