Der Sommer der Toten
spaßeshalber die Sache mit dem Fluch weitergesponnen. Ich will dir keine Angst machen, aber wenn wir alles zusammen in einen Topf werfen, dann würde ich zu dem Ergebnis gelangen, dass du dieses Jahr an den Stigmata verbluten wirst.“
„Besten Dank auch“, entgegnete Anna zynisch. „Jetzt fühle ich mich gleich viel besser.“
„Ich möchte gerne noch eine weitere Person einweihen“, sagte Bianca ruhig.
„Wen?“
„Einen Freund von mir. Er ist Arzt. Wir werden hier einige Vorbereitungen treffen. Auch Infusionsbesteck und Blutkonserven. Ich schätze die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich zum Idioten mache, sehr hoch ein. Aber wenn an dieser Gruselgeschichte wirklich etwas dran sein sollte, dann ist es vielleicht besser, vorbereitet zu sein.“
„Das klingt ja alles ganz nett“, entgegnete Anna traurig. „Aber wer sagt denn, dass wir überhaupt etwas dagegen unternehmen können?“
„Wie meinst du das?“
„Vielleicht bin ich ja paranoid“, sagte Anna. „Aber wenn solch ein Fluch über Jahrhunderte hinaus solch eine fürchterliche Präzision an den Tag legt, wer sagt denn, dass sich irgendeine höhere Macht nicht auf alle Eventualitäten vorbereitet?“
„Wir sollten aber alles versuchen“, sagte Bianca. „Schaden kann es nichts. Nur ein Wort von dir und ich greife zu meinem Handy und rufe meinen Bekannten an.“
„Na, das ist mal ein cooler Fight. Uralte Flüche im Kampf gegen moderne Medizin. Wer mag da wohl als Sieger hervorgehen?“
Trotz ihrer flapsigen Worte wirkte Anna unendlich traurig. Als sie Bianca ansah, standen ihr die Tränen in den Augen.
„Danke“, sagte sie dann noch, bevor sie heftig zu weinen anfing.
Bianca stand auf und setzte sich direkt neben Anna, um sie in den Arm zu nehmen. Anna ließ es sich gefallen. Geduldig wartete Bianca, bis sie sich wieder gefangen hatte.
„Okay“, sagte Anna schließlich. „Ruf an.“
Bianca zückte ihr Handy aus der Hosentasche und wählte die gewünschte Rufnummer.
Nach dem dritten Klingeln wurde abgehoben.
„Praxis Doktor Kowalski, Martina Peters am Apparat“, meldete sich die Sprechstundenhilfe dienstbeflissen.
Bianca merkte aber sofort an ihrem Unterton, dass etwas nicht stimmte.
„Dr. Bianca Wallmann“, meldete sie sich trotzdem. „Ich möchte gerner Doktor Kowalski sprechen.“
Anna beobachtete Biancas Gesicht und erkannte alarmiert, dass sich ihre Gesichtszüge versteinerten. Nach kurzer Zeit sagte sie tonlos „Danke“, trennte die Verbindung und legte das Handy auf den Tisch.
„Was ist?“, fragte Anna beunruhigt.
„Mein Bekannter, Doktor Kowalski, ist heute Morgen auf dem Weg in seine Praxis tödlich verunglückt.“
2.
Die Temperaturen dieses Tages waren wieder mörderisch. Das hatte zumindest den Vorteil, dass niemand den beschwerlichen Weg zum Friedhof auf sich nahm.
Damit konnte Werner die restlichen Toten dieser Reihe in Ruhe ausgraben. Bei diesen Temperaturen kam er nicht sehr schnell voran. Sehr oft machte er eine Pause und trank viel. Durch die Hitze war die Erde ausgetrocknet und stellenweise schien sie härter zu sein, als Beton. Es waren Stunden äußerst beschwerlicher Arbeit, bis das hohle Klopfgeräusch signalisierte, dass er bis zum Deckel des vierten Sarges vorgedrungen war.
Er gab sich keinen Illusionen hin. Auch dieses Grab würde wieder eine erhaltene Leiche aufweisen.
Neben dem Grab unter einer Zeltplane versteckt lag bereits ein transportabler Flaschenzug bereit. „Transportabel“ bedeutete in diesem Fall, dass er rund dreißig Kilogramm auf den Friedhof hieven musste.
Pfarrer Schuster tauchte permanent auf, um sich nach dem Fortschritt der Arbeiten zu erkundigen und um Werner immer wieder mit Getränken zu versorgen. Werner, der für seine innere Ruhe bekannt war, begann indessen immer heftiger zu fluchen. Solch eine Arbeit war fast schon unmenschlich. Sein Rücken tat ihm weh und er war sicher, dass er heute kein weiteres Grab mehr schaffen würde. Er war körperlich am Ende und er bezweifelte schon, ob er die letzten beiden Gräber überhaupt noch ausheben würde.
Dass Kurt ausgefallen war, bereitete ihm weiteres Kopfzerbrechen. Auf Dauer würde er einen neuen Kollegen brauchen. Allerdings war niemand im Dorf dazu bereit, diese Arbeit zu machen, und in der jetzigen Situation konnten sie es sich auch nicht leisten, dass weitere Außenstehende mit involviert würden.
Werner sprang ins Grab, legte mit der Schaufel den Sarg frei und entfernte die Verschlüsse.
Danach kletterte
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