Der Sommer der toten Puppen
Fèlix Castells.
»Gehörte der Marc?«
»Offen gestanden, ich erinnere mich nicht. Ich nehme an, ja.«
Die Habe wohlverwahrt, in einer Kiste wie ihr Besitzer.
»Benötigen Sie noch etwas?«
Eigentlich nicht, dachte Héctor. Trotzdem schoss ihm eine Frage durch den Kopf:
»Warum hatte ihn die Schule vom Unterricht ausgeschlossen?«
»Das ist schon lange her. Ich weiß nicht, ob uns das jetzt weiterbringt.«
Héctor schwieg. Und wie erwartet, beförderte die Stille den Mitteilungsdrang seines Gegenübers. Selbst einem Mann wie Fèlix, einem langjährigen Experten für Schuld und Vergebung, machte sie zu schaffen.
»Es war eine Dummheit. Ein schlechter Scherz. Ein sehr schlechter.« Er stützte sich auf den Tisch und schaute Héctor in die Augen. »Ich weiß wirklich nicht, wie ihm so etwas einfallen konnte. Es schien mir so ... gar nicht zu Marc zu passen. Er war immer ein sensibler Junge, absolut nicht grausam.«
Falls Pater Castells seine Neugier wecken wollte, war es ihm gelungen, dachte Héctor.
»Es gab da einen Mitschüler. Ein gewisser Óscar Vaquero. Recht dick, nicht sehr helle und ...«, er suchte nach dem Wort, offensichtlich war es ihm unangenehm, »ein wenig effeminiert.« Er seufzte und sprach weiter. »Wie es aussieht, hat Marc ihn nackt im Duschraum aufgenommen und das Video ins Internet gestellt. Der Junge war, nun ja, Sie verstehen schon, erregt, wie es scheint.«
»Er hat unter der Dusche masturbiert?«
Pater Castells nickte.
»Toller Scherz.«
»Zugutehalten kann man meinem Neffen immerhin, dasser die Tat gleich gestanden hat. Er hat sich bei dem Jungen entschuldigt und das Video, wenige Stunden nachdem es im Netz stand, wieder heruntergenommen. Deshalb war der Schulverweis auch nur für ein paar Tage.«
Héctor wollte gerade etwas sagen, als es an der Tür klopfte und seine Kollegin eintrat, ohne auf eine Antwort zu warten. Castro hatte ein blaues T-Shirt in der Hand.
»Es ist schon gewaschen, aber es ist das von dem Foto. Sicher.«
Pater Castells sah sie beide verwirrt an. Aber etwas straffte sich in ihm, und er erhob sich wieder. Er war ein großgewachsener Mann, zehn Zentimeter größer als Héctor, der mit seinen Einsachtzig nicht eben klein war, und bestimmt dreißig Kilo schwerer.
»Hören Sie, Herr Inspektor, Lluís ... Kommissar Savall hatte uns gesagt, dass es sich um einen inoffiziellen Besuch handelt ... vor allem um Joana zu beruhigen.«
»So ist es«, erwiderte Héctor etwas überrascht, als er den Vornamen des Kommissars hörte. »Aber wir wollen auch die richtigen Schlüsse ziehen.«
»Inspektor, sehen Sie hier, genau unter dem Halsausschnitt.«
Ein paar rötliche Flecken. Es konnte alles Mögliche sein, aber Salgado hatte zu viele Blutflecken gesehen, um sie nicht zu erkennen.
»Wir nehmen es mit. Und das da«, er deutete auf die Kiste, »auch.«
»Was wollen Sie mitnehmen?«
Eine Stimme in der Tür, und alle fuhren herum.
»Enric«, sagte Fèlix und wandte sich an den Eintretenden. »Darf ich vorstellen: Inspektor Salgado, die Beamtin Castro ...«
Enric Castells war nicht nach Förmlichkeiten zumute.
»Ich dachte, ich hätte deutlich gemacht, dass wir es nicht wünschen, weiter behelligt zu werden. Sie waren bereits hier und haben alles auf den Kopf gestellt. Jetzt kommen Sie und wollen Marcs Sachen mitnehmen. Dürfte ich fragen, warum?«
»Das T-Shirt hier hat Marc in der Johannisnacht getragen«, erklärte Héctor. »Aber es ist nicht das Hemd, in dem man ihn gefunden hat. Aus irgendeinem Grund hat er sich umgezogen. Wahrscheinlich weil es schmutzig war. Und wenn ich mich nicht irre, sind das Blutflecken.«
Sowohl Enric als auch sein Bruder nahmen die Nachricht schweigend entgegen.
»Und das bedeutet?«, fragte Fèlix schließlich.
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich nichts. Vielleicht hat er sich aus Versehen geschnitten und dann umgezogen. Oder an dem Abend ist etwas passiert, was die jungen Leute uns nicht gesagt haben. Jedenfalls müssen wir das T-Shirt erst untersuchen. Und noch einmal mit Aleix Rovira und Gina Martí sprechen.«
»Wollen Sie damit sagen, dass an dem Abend etwas vorgefallen ist, was mit dem Tod meines Sohnes zu tun hat?« Enric Castells fragte es mit fester Stimme, aber der Satz schmerzte ihn sichtlich.
»Das zu behaupten wäre verfrüht. Aber ich glaube, wir sind alle daran interessiert, der Sache auf den Grund zu gehen.« Héctor sagte es so rücksichtsvoll wie möglich.
Enric Castells senkte den Blick. Ihm war
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