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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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sein, als er gedacht hatte, denn alle Blicke waren jetzt auf ihn gerichtet. Aleix versuchte sich in ein Husten zu retten, aber das machte die Sache nur noch schlimmer. Die Verwunderung des Vaters schlug um in Verdruss. Erst da nahm er einen scharfen Geruch wahr, der von ihm selbst auszugehen schien, und Sekunden später sah er, dass er das bisschen Gegessene erbrochen hatte.
hey gi bist du da?
ja.
wie wars mit den bullen?
gut ... nehme ich wenigstens an. sie sind eben weg.
was hast du ihnen gesagt?
nichts, vertraust du mir nicht?
doch klar


gi ... ich mag dich sehr. ehrlich
:-)
echt ... du bist die einzige freundin die ich habe. und mir gehts nicht gut ... mir gehts schlecht
sniffst du noch? du sniffst noch, oder?
ich geh ins bett. n8
aleix, hey, was ist los mit dir? es ist erst neun!!
nichts. das essen ist mir nicht bekommen. scheiße mein bruder kommt muss aufhörn bs mrgn
    Eduard tritt mit ernster Miene in sein Zimmer, schließt die Tür und setzt sich auf die Bettkante.
    »Geht es dir besser? Mama ist ganz besorgt.«
    »Ja. Die Hitze ist mir wohl auf den Magen geschlagen.«
    Das Schweigen seines Bruders ist ein deutliches Zeichen, dass er ihm nicht glaubt. Und für einen Moment ist Aleix versucht, ihm sein Herz auszuschütten.
    »Du weißt doch, dass du mir vertrauen kannst.«
    Nein!, schreit Aleix innerlich, ich kann nicht!
    Edu steht auf und legt ihm die Hand auf die Schulter. Und plötzlich ist Aleix wieder der kleine, verängstigte Junge, der im Krankenhausbett auf die Ärzte wartet. Die Tränen rinnen ihm übers Gesicht, ohne dass er etwas dagegen tun kann. Er schämt sich, weil er schluchzt wie ein Kind, aber es ist zu spät. Eduard flüstert ihm noch einmal zu: »Du kannst mir vertrauen. Ich bin dein Bruder.« Und seine Umarmung ist so warm, so tröstlich, dass Aleix sich nicht mehr zurückhalten kann und freiheraus weint.
    Gina sah noch ein paar Sekunden auf den Bildschirm und fragte sich, warum Aleix bloß so schöne Dinge sagen konnte, wenn er an der Tastatur saß. War nur er so, oder galt das für alle Typen? Klar, dass man sich nicht einfach sagte, wie sehr man sich mochte, das war peinlich. Nur ihre Mutter tat das, und die merkte nicht mal, dass der Satz vor lauter Wiederholung längst inhaltsleer war. Man konnte doch nicht eine Tochter, an der nichts Besonderes war, so gern haben. Wenn man jemanden mochte, dann für etwas. Marc zum Beispiel. Er war einfühlsam, liebevoll, und er konnte lächeln, mit seinem ganzen Gesicht, konnte ihr Matheaufgaben, die für sie ein Buch mit sieben Siegeln waren, voll unendlicher Geduld erklären. Oder Aleix. Er war hübsch, klug, brillant. Selbst wenn er zugedröhnt war. Aber sie? An ihr war nichts, weder im Guten noch im Schlechten. Sie war weder hübsch noch hässlich, weder groß noch klein; schlank, ja, aber ohne jede Rundung, einfach nur dünn.
    Zum zweiten Mal an diesem Tag öffnete sie die Fotos, die sie in der Johannisnacht auf Facebook hochgeladen hatte. Sie waren am frühen Abend entstanden, als sie noch Freunde waren. Vor dem Streit. Aber etwas Seltsames lag schon in der Luft. Am Nachmittag hatten sie und Aleix endgültig beschlossen, aus Marcs Plan auszusteigen. Sie erinnerte sich nicht mehr an die Argumente, die Aleix vorgebracht hatte, um sie zu überzeugen, sehr wohl aber, dass sie ihr vernünftig erschienen. Durchdacht. Und naiverweise hatte sie geglaubt, diese Überlegungen würden auch Marc überzeugen. Aber es war nicht gut gelaufen. Marc war wütend geworden. Richtig wütend. Als würden sie ihn verraten.
    Gina schloss die Augen. Was hatte diese Tussi von der Polizei gefragt? »Er hatte ein anderes Mädchen kennengelernt, nicht wahr? In Dublin vielleicht?« Gina hatte nicht gewusst, was Eifersucht war. Bis Marc zurückkam. Für sie war es ein unbekanntes, übermächtiges Gefühl gewesen, dem sie hilflos ausgeliefert war. Sie zersetzte alles. Machte einen böse, hinterhältig. Brachte einen dazu, Sätze zu sagen, die einem nie in den Sinn gekommen wären, Dinge zu tun, die man sich nicht hätte vorstellen können. Dass auch sie ein leidenschaftliches Mädchen sein konnte, hätte sie nie gedacht; das gab es nurim Film, in Romanen, in Songs ... Frauen, die den Freund erstechen, weil der sie betrügt. Lächerlich. Und ihr selbst blieb nicht einmal der Trost, die betrogene Freundin zu sein, nicht im eigentlichen Sinn. Es war nicht seine Schuld, dass Gina monatelang damit spielte, sie seien zusammen, und sich immer wieder sagte, dass er eines

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