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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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einer Sanftheit geliebt, wie man es von zwei Unbekannten nicht erwartet hätte. Ganz langsam, geleitet mehr von einem Bedürfnis nach Berührung als von entfesselter Leidenschaft. Und während sie jetzt zusammen frühstückten, wurde Héctor sich bewusst, dass der Sex ihre freundschaftlichen Gefühle vertieft hatte. Sie waren keineKinder mehr, hatten beide ausreichend Enttäuschungen erlebt, und sie nahmen die angenehmen Momente an, ohne sie mit Hoffnungen oder Wünschen zu befrachten. Sinnlichkeit lag nicht in diesem gemeinsamen Frühstück; das Tageslicht hatte sie wieder an ihren Platz gestellt, ohne jeden Druck. Er war dankbar dafür, es machte ihn aber auch traurig. Vielleicht war das alles, wonach er noch streben konnte: angenehme, herzliche Begegnungen, die einen guten Geschmack hinterließen. Tröstlich wie der heiße Kaffee.
    »Das Hemd passt dir?«, sagte Joana. »Ein guter Freund hat es dagelassen.«
    Die Bemerkung war nicht ganz zufällig, dachte Héctor und lächelte.
    »Ich bringe es dir zurück«, sagte er mit einem bedeutungsvollen Zwinkern. »Ich muss jetzt gehen. Zu den Eltern von Gina Martí.«
    »Die Sache ist noch nicht vorbei, oder?«
    Héctor schaute sie voll Sympathie an. Wenn er es ihr nur sagen könnte. Dass der Fall abgeschlossen war. Doch das Bild von Iris im Schwimmbecken, durch den Traum noch verstärkt, deutete auf das Gegenteil.
    »Ich glaube, es gibt etwas, das du lesen solltest.«

24
    An diesem Morgen wünschte Aleix sich so heftig wie noch nie, er könnte die Zeit zurückdrehen. Ginas Tod war ein unerwarteter Schlag gewesen, härter als alle, die er in den letzten Tagen eingesteckt hatte, und während er im Bett lag und die Kraft zum Aufstehen nicht fand, schweiften seine Gedanken in eine nähere Vergangenheit, die jetzt allerdings in weiter Ferne zu liegen schien: zu Gina, der lebendigen Gina, der unsicheren, leicht zu überzeugenden, die so liebevoll war, so zerbrechlich. Und an allem war Marc schuld, dachte er voller Groll, auch wenn er wusste, dass es nicht ganz stimmte. Marc, sein treuester Anhänger, der sogar eine Schuld auf sich genommen hatte, nur weil er ihn darum bat, Marc war seit seiner Rückkehr aus Dublin ein anderer gewesen. Er war nicht mehr der kleine Bubi, den er nach Lust und Laune um den Finger wickeln konnte. Er hatte seine eigenen Vorstellungen, die schon zu einer Obsession wurden und sie alle in gehörige Schwierigkeiten bringen konnten. Der Zweck heiligt die Mittel, das war sein Motto gewesen. Und da er einen guten Lehrer gehabt hatte, hatte er einen Plan ausgeheckt, der ans Absurde grenzte, dessen Folgen aber ebendeshalb nicht einzuschätzen waren.
    Zum Glück hatte er es geschafft, diesen Plan zu vereiteln, bevor die Dinge aus dem Ruder liefen, bevor eins zum anderen kam und die Wahrheit ans Licht drang. Gina hatte ihm geholfen, auch wenn sie seine wahren Gründe nicht kannte. Zwar zögerte sie zunächst, aber am Ende gab sie sich geschlagen. Gina ... Es hieß, sie habe eine Nachricht hinterlassen. Er sah sie vor sich, das kleine Mädchen, allein, wie sie am Computer saß und schrieb, wie sie heulte, weil sie Marc verratenhatte. Wie sie nicht glauben konnte, wozu er, Aleix, sie angestiftet hatte.
    Die Knallerei hatte ihn seit Stunden wie Donnerhall begleitet. Am Abend der Johannisnacht verwandelte sich Barcelona in eine explosive Stadt. Tückische Böller lauerten an jeder Ecke, während sich alle auf das Fest vorbereiteten, den leuchtenden Beginn des Sommers, auf dass prasselnde Flammen, Feuerwerk und strömender Cava die kürzeste Nacht des Jahres untermalten. Als er zu Marc kam, fiel ihm als Erstes auf, wie hübsch Gina war, und es versetzte ihm einen Stich, als er daran dachte, dass sie sich nicht für ihn so angezogen und geschminkt hatte. Aber trotz ihrer High Heels, des schwarzen Rocks und engen Tops machte sie einen unruhigen, unbehaglichen Eindruck. Tatsächlich passte die Aufmachung gar nicht zu den beiden Jungs in ihren T-Shirts, abgewetzten Jeans und Turnschuhen. Gina spielte mit zwei schlampigen Schnöseln Prinzessin, dachte Aleix. Marc war nervös, aber das war nichts Besonderes. Seit Wochen war er so, versuchte eine Entschlossenheit vorzugaukeln, die er nicht besaß. Wegen Iris. Blöde Iris.
    Er hatte gleich laut nach einem Bier gerufen, damit es wenigstens ein bisschen nach einer Party aussah. Schon bevor er losging, hatte er ein paar Lines gezogen; er ahnte, dass er es brauchen würde, und jetzt fühlte er sich euphorisch, voller Energie

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