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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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Sein Zimmer war ein einziges Chaos: Klamotten überall, Turnschuhe verstreut auf dem Boden. Er musste an das Zimmer von Gina denken, die Regale voller Kuscheltiere, die sie einfach nicht wegtun wollte und die einen Teil des Charmes dieses Raums ausmachten, eines Raums, der noch eine gewisse Unschuld ausstrahlte. Scheiße, Gina ...
    Eine Warnlampe leuchtete in seinem Gehirn auf. Welche Bermudashorts hatte er getragen, als er sie zum letzten Mal sah? Er durchsuchte die drei Shorts, die er beim Ausziehen auf einen Stuhl geworfen hatte, und seufzte erleichtert. Ja, der verdammte USB-Stick war da. Er steckte ihn in den Rechner, nicht weil es ihn interessiert hätte, was darauf war, das bestimmt nicht. Er wollte nur persönlich tun, was Gina, der er bei allem, was mit Marc zu tun hatte, einfach nicht vertraute, ausdrücklich nicht tun sollte: nämlich alles löschen, auf dass die Bilder für immer verschwanden.
    Als auf dem Bildschirm die Dateien erschienen, war er entsetzt, und sofort packte ihn diese Gereiztheit, die er im Umgang mit anderen so oft empfand, die Enttäuschung, wieder einmal feststellen zu müssen, dass er von lauter Losern umgeben war. Er machte sich schon Vorwürfe, dass er auf Gina sauer war, jetzt, wo die Ärmste nicht mehr lebte, aber ...Himmel, wie dumm musste sie sein, ihm den falschen Stick zu geben, einen mit Texten zur Kunstgeschichte. Der Ärger wich einer Panik. Verdammt, der richtige Stick war noch in Ginas Zimmer, leicht zu finden von ihren Eltern, der Polizei. Von diesem drögen Latino und seiner scharfen Kollegin. Er brauchte keine fünf Minuten, um sich anzuziehen und auf seinem Fahrrad zu sitzen. Na denn, dachte er mit einem Grinsen, da wäre sein Vater endlich einmal zufrieden.

25
    Héctor stand vor dem herrschaftlichen schwarzen Gittertor, das ins Treppenhaus der Martís führte, und sah auf die Uhr. Ihm blieben noch fünfzehn Minuten, bevor er sich mit Castro traf. Er hatte sie gleich angerufen, als er Joanas Wohnung verließ, und ein weiterer Kaffee, sagte er sich, bekäme ihm nicht schlecht, ehe er sich dem stellte, was ihn oben erwartete. Anscheinend war er nicht der Einzige, der so dachte, denn kaum hatte er das Café betreten, sah er aus den Augenwinkeln Fèlix Castells am Ende des Tresens stehen, die Zeitung aufgeschlagen, versunken in die Lektüre. Mit ihm wollte er ohnehin einmal allein sprechen, also ging er auf ihn zu und grüßte ihn, wobei er, ohne länger darüber nachzudenken, die geistliche Anrede benutzte.
    »Sagen Sie Fèlix zu mir, bitte«, erwiderte er freundlich. »Heutzutage nennt uns niemand mehr Pater.«
    »Hätten sie etwas dagegen, wenn wir uns dort drüben hinsetzen?« Héctor deutete auf einen Tisch weiter hinten, in einer abgeschiedenen Ecke.
    »Natürlich nicht. Eigentlich warte ich auf meinen Bruder und auf Glòria. Angesichts der Situation haben wir gedacht, es wäre besser, wenn wir drei zusammen gehen und auch nur so lange bleiben, wie es unumgänglich ist.«
    Wie rücksichtsvoll, dachte Héctor. Die Castells mit ganzer Mannschaft, um Salvador und Regina ihr Beileid auszusprechen für den Tod einer Tochter, die vielleicht ihren Sohn und Neffen umgebracht hatte. Immerhin konnte er allen Betroffenen dankbar sein, dass sie sich bisher überaus diskret verhalten hatten. Selbst der harsche Anwurf von Salvador Martí am Abend zuvor war wohl eher der Erschöpfung geschuldet.
    Kaum saßen sie beim Kaffee – Fèlix hatte sich anstandshalber ebenfalls einen bestellt –, sprach Héctor das Thema gleich an.
    »Sagt Ihnen der Name Iris etwas?«
    »Iris?«
    Verzögerung, dachte Salgado. Gesenkter Blick, Zucker umgerührt: weitere Verzögerung. Ein Seufzer.
    »Ich nehme an, Sie meinen Iris Alonso.«
    »Ich meine die Iris, die vor Jahren bei einer Ferienfreizeit in einem Schwimmbecken ertrunken ist.«
    Fèlix nickte. Er trank einen Schluck. Schob die Tasse beiseite und stützte, unter Héctors forschendem Blick, beide Hände auf den Tisch.
    »Den Namen habe ich schon seit langem nicht mehr gehört, Herr Inspektor.«
    Schon seit langem denke ich nicht mehr an Iris , erinnerte sich Héctor.
    »Was wollen Sie wissen? Und ...«, ein Schwanken, »warum?«
    »Das sage ich Ihnen gleich. Erzählen Sie mir erst, was passiert ist.«
    »Was passiert ist? Wenn ich das wüsste, Herr Inspektor.« Er fasste sich wieder, seine Stimme klang fester. »Wie Sie gesagt haben, Iris Alonso ist in dem Schwimmbecken des Hauses ertrunken, das wir jeden Sommer für unser Ferienlager gemietet

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