Der Sommer der toten Puppen
und unersättlich. Das Essen, ein paar Pizzas, die Marc und Gina in den Ofen geschoben hatten, waren schon fertig, und während sie die Gläser schneller leerten als die Teller, schien es für eine Weile tatsächlich so zu sein wie früher. Als Marc in die Küche hinunterging, um noch ein paar Bier zu holen, stellte Aleix die Musik lauter und tanzte mit Gina. Himmel, an dem Abend war das Mädchen echt zumReinbeißen. Und Koks war tatsächlich auch ein fantastisches Aphrodisiakum. Sie konnten ja die Mutter seiner kleinen Freundin fragen, dachte er und musste an sich halten, um sie nicht zu befummeln. Während er mit ihr tanzte, vergaß er Marc beinahe. Das war das Gute an Koks, es beseitigte die Probleme, löste sie auf; bewirkte, dass man sich auf das Wesentliche konzentrierte: Ginas Schenkel, ihren Hals. Er biss zum Scherz leicht hinein, wie einer dieser Vampire, die ihr so imponierten, aber Gina hielt ihn auf Abstand. Klar, das war jetzt Marc vorbehalten. Armes Dummerchen. Sah sie denn nicht, dass ihr geliebter Marc in eine andere verknallt war? Fast hätte er sie daran erinnert, aber er beherrschte sich. In dieser Nacht brauchte er Gina als Verbündete.
»Hast du getan, was ich dir gesagt habe?«, flüsterte er ihr ins Ohr.
»Ja. Aber ich weiß nicht ...«
Er legte den Finger an die Lippen.
»Das ist beschlossene Sache, Gi.«
Gina seufzte.
»In Ordnung.«
»Das Ganze ist doch einfach verrückt.« Am Tag zuvor hatte er es ihr tausendmal gesagt, und es zu wiederholen brachte ihn um den Verstand. Er fasste sich in Geduld, wie ein wohlwollender Vater bei einem dickköpfigen Mädchen. »Einfach verrückt, die Folgen nicht auszumalen, vor allem für dich und für Marc. Kannst du dir vorstellen, was die Leute denken, wenn die Wahrheit herauskommt? Wie willst du ihnen erklären, was auf dem Stick ist?«
Sie stimmte ihm zu. Im Grunde war sie sicher, dass Aleix recht hatte. Nur musste Marc noch überzeugt werden.
»Und außerdem, wozu? Wieso sollen wir uns auf den Unsinn einlassen? Nur um diesem Mädchen aus Dublin zu helfen? Mensch, Gina, wenn Marc wieder runterkommt von seinem Trip, wird selbst er uns dankbar sein.« Er machte eine Pause. »Dir wird er dankbar sein. Da bin ich sicher.«
»Wofür werde ich euch dankbar sein?«
Erst jetzt merkte Aleix, dass er immer lauter gesprochen hatte. Aber egal. Er musste es ihm sagen, und je eher, desto besser.
Auch samstags hörte man die typischen morgendlichen Geräusche im Haus. Sein Vater frühstückte um halb neun, und sein Bruder folgte dessen Gewohnheiten, jetzt, wo er für den Sommer nachhause zurückgekehrt war. Jemand klopfte an die Tür seines Zimmers.
»Ja?«
»Aleix.« Es war Eduard. Er streckte den Kopf herein. »Du solltest aufstehen. Wir müssen zu den Martís.«
Er war versucht, sich das Laken über den Kopf zu ziehen.
»Ich gehe nicht mit. Ich kann nicht.«
»Papa hat aber ...«
»Edu! Ich gehe nicht! Ist das klar?«
Sein Bruder schaute ihn fest an und nickte.
»Einverstanden. Ich sage Papa, dass du später kommst.«
Aleix drehte sich im Bett um und starrte an die Wand. Papa, Papa. Scheiße, und wenn seine Geschwister vierzig Jahre alt wären, das Wort des Vaters wäre für sie immer noch das Evangelium. Eduard blieb ein paar Sekunden auf der Schwelle stehen, doch als sich im Bett nichts rührte, drückte er lautlos die Tür zu und ging. Besser so. Er wollte Edu nicht sehen, auch seine Eltern nicht und erst recht nicht Regina. Er schaute lieber die weiße Wand an, wie eine Leinwand, auf die sein Kopf andere Bilder projizieren konnte.
»Wofür werde ich euch dankbar sein?«, wiederholte Marc seine Frage, diesmal mit einem argwöhnischen Unterton.
Gina senkte den Kopf. Draußen krachte es, und alle drei zuckten zusammen.
»Ich habe die Nase voll von den Böllern!«, schrie sie, ging zu dem Tisch und schenkte sich noch einen Wodka mit Orangensaft ein. Es war der dritte des Abends. Mit dem Plastikbecher in der Hand beobachtete sie ihre Freunde, die sich gegenüberstanden wie zwei Revolverhelden.
»Marc«, sagte Aleix schließlich, »Gina und ich haben miteinander gesprochen.«
»Worüber?«
»Du weißt schon.« Aleix schwieg, und dann ging er zu Gina an den Tisch. Er stellte sich neben sie. »Wir machen nicht mehr mit.«
»Was?«
»Denk doch mal nach, Marc«, fuhr Aleix fort. »Es ist zu riskant. Du kannst fürchterlichen Ärger kriegen, kannst uns alle reinreißen. Dabei weißt du nicht mal, ob es wirklich funktioniert.«
»Sonst hat es
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