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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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keinen Grund, sich zu beeilen, dachte sie. Und dafür waren die Chancen wahrscheinlich ohnehin vertan, aufgeregt und verängstigt wie sie jetzt war.
    Und wenn auch in Minneapolis das Unwetter tobte? Über ganz Minnesota? Wenn David heute abend gar nicht mehr käme?
    Katies Herz sank.
    O Gott, bitte, laß das nicht eintreten!
    Unten fing Papa wieder mit dem Gehämmer an. Telefon, daß ich nicht lache!
    Telefon! So wie damals, als er sich damit herausgeredet hatte, er hätte die Heizung gereinigt.

 
III
     
     
    Das Gewitter fegte über den Himmel, und unten hörte Papa nicht auf zu hämmern. Das Ticken der Uhr wurde vom Geprassel des Regens gedämpft. Katie lief auf und ab und nahm immer wieder einen Schluck. Der Alkohol beruhigte sie nicht und wärmte sie nicht, er vermengte sich mit ihrem rasch dahinfließenden Blut, benebelte ihren Verstand und versetzte sie gleichzeitig in fieberhafte Erregung.
    Eine Zeitlang blieb sie am Fenster stehen und beobachtete das Gewitter. David war wie eine brennende Silhouette in einen Teil ihres Bewußtseins eingraviert. Blitze zuckten ununterbrochen auf, gezackte, zur Erde gerichtete Speere des Todes. Sie erleuchteten die merkwürdig brodelnde Dunkelheit der Gewitterwolken, die zu Gesichtern wurden, grotesk und windgetrieben über den Himmel dahinjagend: fremdartige, verzerrte Gesichter, wie die der Greise im Dorf, die mit dem Donner sangen:
    »Möge sie den Weg bereiten!«
    Mein Gott, welchen Weg nur?
    Sie warf sich aufs Bett und bedeckte das Gesicht mit den Händen, umgeben von dem sturmächzenden Haus. Zu ihrer Überraschung spürte sie Tränen auf ihrem Gesicht. Sie hatte also schon eine ganze Weile geweint.
    Papa hämmerte.
    Ein Schluck Alkohol.
    Die Angst steigerte sich immer mehr und vermengte sich mit einem nicht zu unterdrückenden Anflug von Selbstmitleid.
    Warum ausgerechnet ich? Wer wird mir helfen? Warum kommt mir niemand zur Hilfe? David, warum bist du nicht da?
    Es hätte so schön werden können, so zauberhaft.
    Wenn du hier wärest, könnten wir fort. Wir könnten fort und ein Baby machen.
    Wenn ich bloß niemals gekommen wäre. Nach Hause.
    Sie trank den Rest des Alkohols.
    Papa hämmerte.
    Katie weinte.
    Der Sturm toste um das Haus, jagte über den Nordhimmel. Und dann allmählich zog das Unwetter ab. Die Blitze wurden seltener, der Donner kam aus größerer Entfernung. Vielleicht kam David doch noch! Sie konnte ihn geradezu vor sich sehen, wie er am Straßenrand parkte, vielleicht eingenickt war, aufsah, als der Regen nachließ, das Fenster herunterkurbelte und tief einatmete. Dann startete er, sah sich vorsichtig um und fuhr los.
    Katie beruhigte sich und schlief ein. Einen Arm hielt sie übers Gesicht, den anderen über den Leib, als wolle sie etwas in ihrem Inneren schützen, das noch nicht zum Leben erwacht war. Die Kerze auf dem Frisiertisch flackerte auf. Sie warf zitternde Schatten an die Wände, auf Katies dunkles Haar.
    Dann war sie endgültig heruntergebrannt.

 
IV
     
     
    Sie fühlte starke Arme um sich. Fühlte sich umfangen. Fühlte sich emporgehoben. Es war finster.
    »Keine Angst, ich bin’s.«
    »David! Ach, David!«
    Sie schlang die Arme um ihn, drückte sich an ihn, sog seinen erdigen Männergeruch ein. Er bildete einen großen, dunklen, Sicherheit bietenden Umriß in dem stillen Haus.
    »David, ich muß dir erzählen …«
    »Von Mama? Das weiß ich.« Seine Stimme klang tief und heiser, atemlos vor Begehren.
    »Und Hercules ist tot. Auf der Wiese erschossen.«
    Er ließ ein Geräusch wie ein Auflachen ertönen, nachsichtig, amüsiert.
    »Beruhige dich. Alles ist gut. Hercules ist im Dorf, er ist wohlauf.«
    Ja, natürlich. David mußte durch das Dorf gekommen sein.
    »Aber heute nachmittag war er hier, zu Tode verängstigt … faselte etwas von Behältern voller Erde bei Dolph Pelser und unten im Keller, da war …«
    »Ich weiß.«
    »Papa hat es dir gesagt?«
    »Ja. Spezielle Samensorten. Das hat Mauslocher sich für die Sonnwendfeier ausgedacht. Die ganze Gemeinde hat die Samen gezogen.«
    »Was für Samen?«
    »Habe ich nicht gefragt«, murmelte er, drückte sie an sich und küßte ihren Hals. »Morgen werden wir es wissen.«
    »Und diese grauenhaften Vögel, die haben sie benutzt, um …«
    »Ich weiß«, kam sein Gemurmel, vibrierend vor Begierde. »Ich werde die Sache in die Hand nehmen …«
    »Aber Papa …«
    »Keine Angst. Ich habe ihn in der Hand. Alles läuft tadellos.«
    »Aber …«
    »Jetzt nicht. Erst müssen wir etwas

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