Der Sommer der Vergessenen: Band 1 von 2 (German Edition)
spüre es. Und er spürt es auch. Sie kehrt zurück! Ist wirklich etwas für dich da draußen, wofür es sich zu kämpfen lohnt? Zu leiden?“
Tweed setzte zu einer Antwort an, aber sie sprach weiter. „In dieser Welt, wo kaum noch Platz ist für Deinesgleichen. Der Wind dreht. Mit dir oder ohne dich. Die Irrlichter sind bereits auf der Spur deiner Freunde. Und diesmal ist niemand da, der sie stoppen kann.“
Kapitel 12
Die Blutguts saßen schwatzend am Tisch. Die Bendith Geserith hatte ihre Rede schon vor Stunden beendet. Die Schiffsbesatzung war zurückgekehrt und hatte in Windeseile die Leinen eingeholt. Unter lautem Beifall und vielen Segensrufen war die Taranis auf den See hinaus gesegelt und in der Dunkelheit verschwunden. Danach nahm das Fest Fahrt auf. Bier und Wein flossen in Strömen. Nach und nach hatten sich einige Neunseener zu den Blutguts gesellt. Offenbar hatte die Aufforderung der Bendith Geserith, sich mit den Besuchern von außerhalb zu beschäftigen, vielen die Scheu vor den Fremden genommen. Die Musik spielte, es wurde getanzt und gelacht. Hier dachte niemand ans nach Hause gehen. Paps hatte, entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten, tief ins Glas geschaut. Belenus und er steckten die Köpfe zusammen. Viele alte Geschichten wurden aufgewärmt, und die Wirkung des Alkohols tat das Übrige. Rolo genoss es, seinen Vater so ausgelassen zu erleben. Obwohl er selbst zahllose Fragen zum Nachtschattental hatte, beantwortete er geduldig alles, was die Neunseener über Rabenstadt und, wie sie es nannten, die Welt da draußen wissen wollten. Onno war mindestens doppelt so schwer wie Rolo. Seine dicken Wangen waren gerötet vor Aufregung und vom Wein. Er redete wie ein Wasserfall, und wenn er lachte, bebte sein massiger Bauch. Rolo konnte gar nicht anders, als mitzulachen. Er fragte sich gerade, ob Onno es schaffen würde, seine Weste über seinem stattlichen Bauch zuzuknöpfen, als ihn Krah anstupste. Krah sah seinem Namen entsprechend aus wie eine junge Krähe. Er war eher schmächtig, aber seine lange Schnabelnase verlieh ihm etwas Durchtriebenes. Rolo mochte ihn sofort.
„ Erklär das doch noch mal mit diesen Rolltreppen. Ich meine, was soll das? Entweder Rollen oder Treppen. Aber beides? Völlig bescheuert.“
„ Rolltreppen“, wiederholte Onno und bebte vor Lachen.
„ Das ist total praktisch“, erklärte Rolo. „Wenn du viel tragen musst im Supermarkt, oder wenn du eine neue Waschmaschine gekauft hast …“. Weiter kam er nicht. „Waschmaschine“, grölte Onno, und alle lachten.
Rolo lachte mit. Er konnte nachvollziehen, wie seltsam sich das anhören musste, wenn man nie zuvor davon gehört hatte. Allerdings fragte er sich, wie hier Wäsche gewaschen wurde.
„ Hallimasch“, sagte Krah an den alten Herren gewandt, der schweigend dem Gespräch lauschte. „Du warst doch auch schon öfter da draußen. Was ist denn so super an den Märkten? Essen die Äpfel, die ich da kaufe, sich selbst auf?“
Alle lachten, nur Hallimasch blieb ungerührt.
„ Sei nicht so albern, Karl Creinveld.“ Er benutzte Krahs richtigen Namen. „Unser Besucher wird uns noch für eine Bande von Hinterwäldlern halten. Na, ganz unrecht hätte er ja nicht. Und wenn der dicke Herr Onno Blix mal sein Temperament für einen Moment zügeln könnte, würde unser ehrenwerter Besucher bestimmt einen ganzen Satz bis zum Ende sprechen mögen.“
Onno errötete und senkte den Blick. Hallimasch gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. „Und denkt dran, in der Schule bin ich Meister Hallimasch.“
Er nippte zufrieden an seinem Glas.
„ Sie sind ein Lehrer? Was unterrichten Sie denn?“, fragte Rolo.
„ Heilkräuter. Und im kommenden Schuljahr auch Diplomatie. Ich hoffe“, sagte er an die anderen gewandt, „dass ihr bis dahin alle wieder frisch seid nach so viel Apfelwein. Wird kein Zuckerschlecken. Jetzt, wo der alte Meister Köhler die wohlverdiente Rente genießt, werden wir andere Seiten aufziehen. Schluss mit dem Larifari.“ Er zog eine lange Holzpfeife aus der Tasche, die er gemütlich zu stopfen begann.
„ Meinen Sie“, begann Rolo, „ich könnte mal in der Schule vorbeischauen? Natürlich nur, wenn es keine Umstände macht.“
„ Ja, Hallimasch“, sagte Krah, „kann Rolo nicht mitmachen? Dann lernt er was anderes als Rollmaschinen und Waschtreppen.“ Er lachte, und Rolo boxte ihm belustigt in die Seite.
„ Das hab ich nicht zu entscheiden“, sagte Hallimasch und paffte an
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