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Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Titel: Der Sommer der Vergessenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Grandjean
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schwarze Stiefel. Der Mann hielt mit
ausgestreckten Armen einen hölzernen Wanderstock vor der Brust. Sein Kopf war
gesenkt.
    Paps seufzte. „Willkommen in Neunseen, der Heimat der
Bekloppten.“ Er klang gereizt. „Ich sagte ja, sie sind sehr eigen hier!“ Mit
diesen Worten öffnete er die Autotür und stieg aus. Er war zwar ein Bücherwurm,
aber kein Feigling. „Sagen Sie mal, sind Sie noch ganz dicht?“
    Rolo beobachtete, wie sein Vater mit energischen
Schritten auf die graue Gestalt zuging. Diese überragte ihn in Größe und Statur
um ein gutes Stück.
    „Ich hätte Sie fast nicht gesehen! Soll ich den Wagen
zurücksetzen und Sie mit Schmackes überfahren? Wollen Sie das?“
    Keine Reaktion. Das spornte seinen Vater nur noch mehr
an. „Hallo? Hören Sie? Sind Sie wach? Herrje, schon wieder so ein entlaufender
Irrer.“
    Rolo setzte sich auf, um besser sehen zu können. Warum
sagte der Graue nichts? Er rührte sich nicht einmal.
    „Ich hab eine Idee. Wissen Sie was? Stecken Sie sich
doch rohe Steaks in die Hose und springen in ein Haifischbecken. Na?“ Paps
gestikulierte wild mit den Armen. Reisen waren nichts für ihn. Und dann noch so
was. Er drehte durch. „Oder Sie hängen sich neun Tage kopfüber an einen Baum?
Wäre das was?“
    „Das hab ich schon getan“, erwiderte der Graue und hob
sein Haupt.
     
    Rolos Vater tat einen Schritt zurück. Der Alte hatte
eine kaum vorstellbar dicke Knollennase, die einen Großteil des runzeligen
Gesichts füllte. Der Bart reichte ihm bis auf die Brust. Dazu trug er eine
Augenklappe. Sein Auge war strahlend blau.
     
    Rolo fluchte, stieg zögerlich aus und näherte sich.
Sein Vater stand starr wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Derartige Konflikte
waren nichts für ihn. Der Graue war mehr als zwei Meter groß, und sein Stab war
noch länger. Und dieser lauernde Blick. Es ging etwas Bedrohliches von ihm aus.Wasser tropfte von der Decke und verschwand im Nebel zu ihren Füßen. Sonst
rührte sich nichts.
    „Du!“, sagte der Graue plötzlich und stupste Paps mit
der Spitze seines Stockes an. Rolo hatte die Bewegung überhaupt nicht gesehen,
so schnell war sie gewesen. „Du bist ein lustiger Kerl“, entschied der Graue.
„Verrate mir deinen Namen.“
    Rolo wunderte sich. Es war die Stimme eines jungen
Mannes, kräftig und ungebrochen. Und der Ton war nicht unfreundlich. Sein Vater
schielte überrascht auf den Stock, der seine Brust berührte.
    „Blutgut, Grellon Blutgut“, sagte er steif. „Und das
hier ist mein Sohn Roland“.
    Rolo sah, dass der Knauf des Stocks ein fein
geschnitzter Krähenkopf war. Das gefiel ihm. Er erwiderte den Blick des Grauen
und nickte wortlos zum Gruß, wobei er versuchte, möglichst verschlagen
auszusehen.
    „Man nennt mich Solomon “, sagte der Graue und stützte den Stock wieder vor sich auf die Erde.
„Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich euch erschreckt habe. Wollte nur nach
dem Rechten sehen, damit hier niemand im Nebel vor ein Auto läuft. Versteht ihr?“
Er schnitt eine Grimasse und lachte schallend.
    Zunächst war Rolo etwas besorgt, ob dieser Mann noch
ganz richtig im Kopf war, und er warf seinem Vater einen besorgten Blick zu.
Aber das Lachen war so herzlich, das es bald ansteckend wirkte. So löste sich
auch die gespannte Atmosphäre. Das Lachen verebbte zu einem Glucksen.
    Solomon rieb sich eine Träne aus dem Auge. „Ihr seid so
lustig“, schnaubte er. „Nicht zu glauben. Wisst ihr, ich bin der Schäfer hier
im Tal. Mein Name ist … ach, hab ich ja schon gesagt. Ich vermisse ein Lamm.
Hat sich wohl im Nebel verlaufen, das arme Ding. Ich glaube, ein Fuchs hat es
erschreckt. Darf gar nicht dran denken. Das arme Ding.“ Er blickte zu Boden und
ließ die breiten Schultern hängen. „Papperlapapp! Was führt euch ins
wundervolle Nachtschattental?“
    Paps ergriff das Wort. „Familienangelegenheiten. Eine
Verwandte lebt hier. Vielleicht kennen Sie sie? Kinsella Farrah?“
    „Na lüg ich denn? Natürlich kenne ich sie. Jeder im
Tal kennt sie. Und ihren Gefährten, Belenus Brock. Ein guter Mann, der olle
Belenus. Und du, mein junger Freund, dein Vater hat dich bestimmt gezwungen,
deine langweilige Verwandtschaft in der Einöde zu besuchen?“ Er lächelte.
    „Eigentlich nicht. Ich bin gerne draußen“, antwortete
Rolo ernst. Er fühlte sich ein bisschen beleidigt.
    „Ja, mein Sohn ist ein richtiger Waldläufer“, ergänzte
Paps.
    „Ist das so? Na, da haben wir ja ein seltenes Exemplar.
Freut mich, freut mich

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